Bullinger - Rechtfertigung

 

Heinrich Bullinger

Das Zweite Helvetische Bekenntnis

(Confessio Helvetica Posterior 1566)

 

Bullinger über die Rechtfertigung:

 

XV. KAPITEL: DIE WAHRE RECHTFERTIGUNG DER GLÄUBIGEN

 

„Rechtfertigen“ bedeutet für den Apostel in seiner Lehre von der Rechtfertigung: die Sünden vergeben, von Schuld und Strafe freisprechen, in Gnaden annehmen und für gerecht erklären. Denn an die Römer schreibt er: „Gott ist es, der sie gerechtspricht. Wer ist es, der verdammen will?“ (Röm. 8,33). Gerechtsprechen und verdammen sind einander entgegengesetzt. In der Apostelgeschichte sagt der Apostel: „Durch Christus wird euch Vergebung der Sünden verkündigt und von allem, wovon ihr durch das Gesetz des Mose nicht gerecht gesprochen werden konntet, wird durch diesen jeder, der glaubt, gerecht gesprochen“ (Apg. 13,38). Denn auch im Gesetz und in den Propheten lesen wir: „Wenn Männer miteinander einen Streit haben und sie treten vor Gericht, dann spricht man ihnen Recht und gibt demjenigen Recht, der im Rechte ist, und demjenigen Unrecht, der im Unrecht ist“ (5. Mose 25,1). Und Jesaja 5,23 steht: „Wehe denen..., die dem Schuldigen Recht geben um Bestechung!“ Nun ist ganz gewiss, dass wir alle von Natur Sünder und Gottlose sind und vor dem Richterstuhl Gottes der Ungerechtigkeit überwiesen und des Todes schuldig befunden werden, aber auch, dass wir von Gott, unserem Richter, durch Christi Gnade allein für gerecht erklärt, das heißt von Sünden und Tod freigesprochen werden, ohne irgendein eigenes Verdienst oder Ansehen der Person. Wie könnte man es noch deutlicher sagen als der Apostel Paulus: „Alle haben ja gesündigt und ermangeln der Ehre vor Gott und werden gerecht gesprochen ohne Verdienst durch seine Gnade mittelst der Erlösung, die in Christus Jesus ist“ (Röm. 3,23-24). Denn Christus hat die Sünden der Welt auf sich genommen und getilgt und so der göttlichen Gerechtigkeit Genüge getan. Gott sieht also einzig um Christi willen, der gelitten hat und auferstanden ist, gnädig auf unsere Sünden und rechnet sie uns nicht an; dagegen rechnet er uns Christi Gerechtigkeit an, als ob es unsere eigene wäre, so dass wir nicht nur von Sünden gesäubert und gereinigt oder heilig sind, sondern auch solche, die dazu noch die Gerechtigkeit Christi bekommen haben. So sind wir denn freigesprochen von Sünden, Tod und Verdammnis und sind Gerechte und Erben des ewigen Lebens. Also spricht uns eigentlich Gott allein gerecht, und zwar spricht er uns nämlich gerecht um Christi willen, indem er uns nicht die Sünden anrechnet, sondern seine Gerechtigkeit (2. Kor. 5,19ff.; Röm. 4,25). Weil wir nun diese Rechtfertigung nicht auf Grund irgendwelcher Werke, sondern allein durch den Glauben an Gottes Barmherzigkeit und an Christus empfangen, so lehren und glauben wir mit dem Apostel, der sündige Mensch werde allein durch den Glauben an Christus, nicht durch das Gesetz oder durch irgendwelche Werke gerechtfertigt. Denn der Apostel sagt: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch durch den Glauben gerecht gesprochen werde, ohne Werke des Gesetzes“ (Röm. 3,28). Ferner: „Wenn nämlich Abraham aus Werken gerechtgesprochen wurde, so hat er Ruhm. Aber nicht vor Gott. Denn was sagt die Schrift? „Abraham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet.“ Dem dagegen, der keine Werke verrichtet, sondern an den glaubt, der den Gottlosen gerechtspricht, dem wird sein Glaube zur Gerechtigkeit angerechnete“ (Röm. 4,2ff.; 1. Mose 15,6). Und weiter: „Denn vermöge der Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch – Gottes Gabe ist es – nicht aus Werken, damit nicht jemand sich rühme“ (Eph. 2, 8-9). Darum, weil der Glaube Christus als unsere Gerechtigkeit annimmt und der Gnade Gottes in Christus alles zuschreibt, deshalb wird dem Glauben die Rechtfertigung zuteil, nur um Christi willen, und nicht deshalb, weil der Glaube unser Werk wäre. Denn er ist Gottes Gabe. Übrigens zeigt der Herr durch mancherlei, dass wir Christus im Glauben annehmen sollen, zum Beispiel Joh. 6, wo er für glauben essen und für essen glauben braucht. Denn wie wir mit dem Essen die Speise zu uns nehmen, so haben wir durch den Glauben teil an Christus. Daher zerteilen wir nicht die Wohltat der Rechtfertigung, als ob sie teils der Gnade Gottes, teils uns selbst, unserer Liebe, unseren Werken oder unserem Verdienst anzurechnen wäre, sondern wir schreiben sie durch den Glauben ganz der Gnade Gottes in Christus zu. Unsere Liebe und unsere Werke könnten ja auch Gott nicht gefallen, da sie doch von Ungerechten stammen; daher müssen wir zuerst gerecht sein, und dann können wir lieben und gerechte Werke tun. Wir werden aber gerecht durch den Glauben an Christus, wie wir gesagt haben, rein durch Gottes Gnade, die uns die Sünden nicht zurechnet, sondern im Gegenteil die Gerechtigkeit Christi und also den Glauben an Christus uns zur Gerechtigkeit rechnet. Außer-dem leitet der Apostel die Liebe ganz deutlich aus dem Glauben ab, wenn er sagt: „Das Endziel des Gebotes aber ist Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben“ (1. Tim. 1,5). Deshalb reden wir auch hier nicht vom erheuchelten, leeren, müßigen und toten Glauben, sondern vom lebendigen und Leben schaffenden Glauben. Dieser Glaube ist und heißt lebendig, weil er Christus erfasst, der das Leben ist und das Leben schafft, und sich in lebendigen Werken als lebendig erweist. In keiner Weise widerstreitet daher Jakobus unserer Lehre, da er von einem leeren und toten Glauben redet, mit dem sich gewisse Leute brüsteten, während sie doch nicht im Glauben den lebendigen Christus im Herzen trugen. Und wenn er gesagt hat, die Werke machten gerecht, so will er damit nicht dem Apostel Paulus widersprechen – sonst wäre er ja verwerflich! –, sondern zeigen, dass Abraham seinen leben-digen, rechtfertigenden Glauben durch Werke bewährt habe, wie es alle Frommen tun, die allein auf Christus und nicht auf ihre eigenen Werke vertrauen (Jak. 2,14ff.). Weiter sagt der Apostel Paulus: „Ich lebe, aber nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir. Was ich aber jetzt im Fleische lebe, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich dahingegeben hat. Ich verwerfe die Gnade Gottes nicht; denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, dann ist ja Christus umsonst gestorben!“ (Gal. 2,20-21).