Hunnius - unfreier Wille

 

Nikolaus Hunnius: Kurzer Inhalt Dessen,

Was ein Christ von Göttlichen unnd Geistlichen Dingen

zu wissen und zu gleuben bedürfftig (1625)

 

Nikolaus Hunnius über den unfreien Willen:

 

(Vom freien Willen.)

 

203. Der Wille ist nicht weniger, als der Verstand, verderbt, denn er ist zur Sünde und zu allem Bösen ganz geneigt, dass er nicht kann gutes tun und auch nicht des bösen sich erwehren; 1 Mose 6,5: „alles Dichten und Trachten der Men-schenherzen ist nur böse immerdar“; Sprichw. Sal. 22,15: „Torheit stecket dem Knaben im Herzen“. Ja, der Wille ist unter die Sünde gefangen; Röm. 7,14: „wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist, ich bin aber fleischlich, unter die Sünde verkauft“; v. 19: „das gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das böse, das ich nicht will, das tue ich“; v. 23: „ich sehe ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstrebet dem Gesetz in meinem Gemüte und nimmt mich gefangen in der Sünden Gesetz“; Gal. 5,17: „das Fleisch gelüstet wider den Geist und den Geist wider das Fleisch; dieselben sind wider einander, dass ihr nicht tut, was ihr wollt“.

 

204. Ferner kann des Menschen Wille dem göttlichen Willen nicht einen freien Gehorsam leisten. Die Engel, weil sie ohne Sünde sind, können aus freiem Willen dienen, als die von keiner bösen Zuneigung noch argen Lust davon abgereizt oder abgedrungen werden. Da nun der Mensch dieses nicht vermag, so sagt man recht, dass er seinen freien Willen, Gott zu gehorsamen, durch die Sünde verloren habe. Solches behaupten die angeführten Schriftzeugnisse leichtlich, indem sie anzeigen, es sei der Mensch unter die Sünde gefangen, dass er nicht könne tun, was er wolle etc.

 

205. Wie nun eines Gefangenen Wille nicht frei ist, zu tun und zu lassen, das ihm gefällt, und wie auch dessen Wille nicht frei ist, der nicht tun kann, was er gern tun wollte; also ist des Menschen Wille von Natur nicht frei, als welcher unter die Sünde gefangen ist und wegen der sündlichen Lüste, die in eines jeden Herzen aufsteigen, nicht tun kann, was er schon gern tun wollte. Und hier mag ein jeder in sein eigen Gewissen und aus seine selbsteigene Erfahrung gehen und auf-merken, wenn er gern etwas gutes tun wollte, (es sei beten, göttliche Geheim-nisse und Werke betrachten oder andere Werke der Gottseligkeit üben,) ob ihm nicht ein fremder, auch wohl widerwärtiger Gedanke einkomme; ob er nicht eine Müdigkeit darüber empfinde und ihm langes Beten und andere gottselige Werke etwas Überdruss bringen. Befindet ers also, so hat er an ihm selbst einen le-bendigen Zeugen, dass sein Wille in geistlichen und gottseligen Werken vielfältig verhindert werde und demnach nicht frei sei, das gute zu tun und das böse zu unterlassen.

 

206. Mit den Tieren hat der Mensch gemein die Sinne, Appetit oder Begierde samt seinen Affekten, dann die Bewegung und die Kräfte, so zur Nahrung und Fortpflanzung des Geschlechts gehören. In diesem allen befindet sich große Verderbnis. Denn Augen und Ohren sind geneigt zur Bosheit, zu schädlichen und schändlichen Dingen; mit welchen man sich erlustigt; da hingegen bei ihnen eine besondere Unlust und Verdruss ist gegen das, was ehrbar, gut und nützlich. Wie denn offenbar ist, dass man mit Lust einem Gaukelspiel zusieht einen ganzen Tag, davon doch kein Nutz geschöpft, sondern allein Leichtfertigkeit und Bosheit gelernt wird. Soll man aber eine nützliche und zur ewigen Wohlfahrt erbauliche Predigt hören, so entschläft man bald oder wird es zum wenigsten müde und überdrüssig.

 

207. Wie nun dieses Augen und Ohren betrifft, also wird ein jeder in allen seinen Lüsten und Affekten, in Zorn, in Liebe, Begierde, Reichtum etc. die Erbsünde, das ist, die natürliche Unart und Verderbnis mehr verspüren, als gut und ihm lieb sein mag, so dass fernerer Beweis nicht nötig ist.

 

208. Was aber die Schrift von der grausamen Verderbnis unserer Natur und den Kräften derselben redet, dasselbige ist alles aus dem, was bisher angedeutet ist, wohl zu vernehmen, darum solches zu widerholen nicht von nöten. Die wirkliche Sünde ist der vornehmsten Früchte eine, so aus der Erbsünde herkommen. Aber davon wird das folgende Kapitel ausführlich handeln.