Bullinger - Buße und Bekehrung

 

Heinrich Bullinger

Das Zweite Helvetische Bekenntnis

(Confessio Helvetica Posterior 1566)

 

Bullinger über Buße und Bekehrung:

 

XIV. KAPITEL: DIE BUßE UND BEKEHRUNG DES MENSCHEN

 

Das Evangelium steht in engem Zusammenhang mit der Lehre von der Buße. Der Herr sagt nämlich im Evangelium, „dass auf seinen Namen hin Buße zur Vergebung der Sünden gepredigt werden solle unter allen Völkern“ (Luk. 24,47). Unter Buße nun verstehen wir die Sinneserneuerung des sündigen Menschen, die durch das Wort des Evangeliums und den Heiligen Geist geweckt und im wahren Glauben angenommen wird, so dass der sündige Mensch seine ange-borene Verderbnis und alle seine Sünden, deren ihn das Wort Gottes anklagt, fernerhin erkennt, darüber von Herzen Leid trägt, sie vor Gott nicht bloß beweint und voller Beschämung gründlich eingesteht, sondern sie auch mit Abscheu verdammt und, emsig auf Besserung bedacht, fortwährend nach Unschuld und Tugend trachtet, worin er sich alle übrigen Tage seines Lebens gewissenhaft übt. Und zwar ist dies die wahre Buße: völlig aufrichtige Hinwendung zu Gott und allem Guten und beharrliche Abwendung vom Teufel und allem Bösen. Wir erklären aber bestimmt, dass solche Buße reines Gottesgeschenk sei und nicht ein Werk unserer eigenen Kraft. Denn der Apostel befiehlt: „Ein Knecht des Herrn soll ... mit Sanftmut die Widerspenstigen zurechtweisen, ob ihnen etwa Gott Sinnesänderung verleihe zur Erkenntnis der Wahrheit“ (2. Tim. 2,25). Schon jene Sünderin im Evangelium, die mit ihren Tränen die Füße des Herrn benetzte (Luk. 7,38), und Petrus, der bitterlich weinte und klagte über seine Verleugnung des Herrn (Luk. 22,62), zeigen deutlich, wie das Herz des Bußfertigen beschaffen sein muss, nämlich dass es die begangenen Sünden ernstlich beweint. Aber auch der reuige Sohn und der Zöllner im Gleichnis, mit dem Pharisäer verglichen, geben uns treffliche Vorbilder, wie wir unsere Sünden vor Gott bekennen sollen. Jener sagte: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin nicht mehr wert dein Sohn zu heißen; stelle mich wie einen deiner Tage-löhner“ (Luk. 15,18ff.). Der andere aber wagte nicht einmal, seine Augen gen Himmel zu erheben, schlug an seine Brust und sprach: „O Gott, sei mir Sünder gnädig!“ (Luk. 18,13). Wir zweifeln nicht daran, dass Gott beide zu Gnaden angenommen hat. Auch der Apostel Johannes sagt: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, so dass er uns die Sünden vergibt und uns von aller Ungerechtigkeit reinigt. Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns“ (1. Joh. 1,9-10). Wir glauben aber, dass dieses offene Bekenntnis genüge, das vor Gott allein abgelegt wird sei es im Stillen zwischen Gott und dem Sünder, sei es öffentlich in der Kirche, wo das allgemeine Sündenbekenntnis gesprochen wird, und dass es zur Erlangung der Sündenvergebung nicht nötig sei, dass jemand seine Sünden dem Priester beichte, indem er sie ihm ins Ohr flüstert und umgekehrt von ihm unter priesterlicher Handauflegung die Lossprechung hört. Denn dafür gibt es in der Heiligen Schrift weder eine Anweisung noch ein Beispiel. Das bezeugt David mit den Worten: „Da bekannte ich dir meine Sünde, und meine Schuld verbarg ich nicht. Ich sprach: Bekennen will ich dem Herrn meine Übertretung. Du aber vergabst mir die Schuld meiner Sünde“ (Ps. 32,5). Aber auch der Herr lehrt uns beten und zugleich unsere Sünden bekennen: „Unser Vater, der du bist in den Himmeln ... vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldnern“ (Mt. 6,12). Nötig ist also, dass wir Gott, unserem Vater, unsere Sünden bekennen und uns mit unserem Nächsten, wenn wir ihn beleidigt haben, wieder versöhnen. Über diese Art des Bekennens sagt der Apostel Jakobus: „So bekennet nun einander die Sünden“ (Jak. 5,16). Wenn aber jemand von der Last seiner Sünden und von verwirrenden Anfechtungen bedrückt, unter vier Augen bei einem Diener der Kirche oder bei einem andern Bruder, der im Wort Gottes wohlgegründet ist, Rat, Weisung und Trost holen will, so haben wir nichts dagegen einzuwenden. Ebenso billigen wir besonders das – bereits erwähnte – allgemeine und öffentliche schriftgemäße Sündenbekenntnis, wie es in der Kirche und in gottesdienstlichen Versammlungen gesprochen zu werden pflegt. Von den Schlüsseln des Reiches Gottes, die den Aposteln vom Herrn übergeben wurden, schwatzen viele wunderliche Dinge, und sie schmie-den daraus Schwerter, Spieße, Zepter und Kronen und dazu die Allgewalt über die größten Königreiche, sowie über Leib und Seele. Wir urteilen da einfach nach dem Worte des Herrn und sagen, dass alle rechtmäßig berufenen Diener der Kirche die Schlüssel des Himmelreiches besitzen und die Schlüsselgewalt ausüben, wenn sie das Evangelium verkündigen, das heißt, das ihrer Treue anvertraute Volk lehren, ermahnen, trösten und strafen, und die Leute in Zucht halten. So nämlich öffnen sie den Gehorsamen das Himmelreich und ver-schließen es den Ungehorsamen. Diese schließen Schlüssel hat der Herr den Aposteln verheißen (Mt. 16,19) und übergeben (Joh. 20,23; Mk. 16,15; Luk. 24,47ff.), da er die Jünger aussendet und ihnen befiehlt, das Evangelium der ganzen Welt zu verkündigen zur Vergebung der Sünden. Und der Apostel sagt im 2. Korintherbrief, dass der Herr seinen Dienern das Amt der Versöhnung gegeben habe (2. Kor. 5,18ff.), und gleichzeitig erklärt er, worin es bestehe, nämlich in der Predigt und Lehre von der Versöhnung. Um sein Wort noch näher zu erklären, fügt er hinzu, dass die Diener Christi gesandt seien, um im Namen Christi zu amten, indem Gott durch die Diener das Volk ermahne, sich mit Gott zu versöhnen – freilich durch gläubigen Gehorsam. Sie üben also die Schlüssel-gewalt aus, wenn sie ermahnen zu Glauben und Buße. So versöhnen sie die Menschen mit Gott. So vergeben sie die Sünden. So öffnen sie das Himmelreich und führen die Gläubigen hinein. Dabei sind sie weit entfernt von den Leuten, von denen der Herr im Evangelium gesagt hat: „Wehe euch Gesetzeskundigen, dass ihr den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen habt; ihr selbst seid nicht hineingekommen, und die, welche hinein wollten, habt ihr daran verhindert“ (Luk. 11,52). Die Diener der Kirche sprechen dann rechtmäßig und wirksam von Sünden frei, wenn sie das Evangelium Christi und in ihm die Sündenvergebung predigen, die jedem einzelnen Gläubigen verheißen wird, wie auch jeder einzelne getauft ist, und wenn sie bezeugen, dass sie sich auf jeden einzelnen erstrecke. Wir glauben nicht, dass die Lossprechung wirksamer sei, wenn sie jemandem ins Ohr geflüstert oder über jemandes Haupt einzeln gemurmelt wird. Doch halten wir dafür, dass die Vergebung der Sünden durch das Blut Jesu den Menschen eifrig verkündigt werden muss und die einzelnen ermahnt werden sollen, dass die Sündenvergebung sie selbst angehe. Übrigens lehren uns Beispiele aus dem Evangelium, wie die Bußfertigen wachsam und eifrig sein müssen im Trachten nach einem neuen Leben, in der Abtötung des alten und in der Erweckung des neuen Menschen. Der Herr sprach zu dem Lahmen, den er geheilt hatte: „Siehe, du bist gesund geworden; sündige nicht mehr, damit dir nicht Schlimmeres widerfährt“ (Joh. 5,14). Und zur Ehebrecherin, die er freisprach, sagte er: „Geh, sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh. 8,11). Mit diesen Worten hat er allerdings nicht gesagt, es könne dazu kommen, dass der Mensch überhaupt nicht mehr sündige, solange er in diesem Fleische lebe, sondern er empfiehlt Wachsamkeit und gewissenhaften Eifer, damit wir uns auf jede Art Mühe geben und es von Gott erbitten, dass wir nicht in die Sünden zurückgleiten möchten, aus denen wir gleichsam auferstanden sind, und damit wir nicht von Fleisch, Welt und Teufel überwunden werden. Da der Zöllner Zachäus vom Herrn zu Gnaden ange-nommen ist, ruft er, wie es im Evangelium heißt, aus: „Siehe, Herr, die Hälfte meines Besitzes gebe ich den Armen, und wenn ich von jemand etwas erpresst habe, gebe ich es vierfach zurück“ (Luk. 19,8). Mit dem gleichen Ziele predigen wir deshalb auch, dass die wirklich Bußfertigen zur Wiedergutmachung und zur Barmherzigkeit wie auch zum Almosengeben bereit sein müssen, und überhaupt ermahnen wir alle mit den Worten des Apostels Paulus: „Daher soll die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, so dass ihr seinen Begierden ge-horcht. Gebet auch eure Glieder nicht der Sünde zu Werkzeugen der Unge-rechtigkeit hin, sondern gebet euch selbst Gott hin als solche, die aus Toten lebendig geworden sind, und eure Glieder zu Werkzeugen der Gerechtig-keit!“ (Röm. 6,12-13). Demgemäß verwerfen wir die verderblichen Ansichten all der Leute, die unter Missbrauch der evangelischen Predigt behaupten: Die Rückkehr zu Gott ist leicht; denn Christus hat ja alle Sünden getilgt. Leicht ist auch die Vergebung der Sünden zu erlangen, was schadet also das Sündigen? Auch braucht man sich nicht mehr um die Buße zu kümmern usw. Indessen lehren wir immer, dass allen Sündern der Zugang zu Gott offen stehe, und dass er allen Gläubigen alle ihre Sünden vergebe, ausgenommen eine einzige Sünde, die Sünde wider den Heiligen Geist (Mk. 3,29). Desgleichen verwerfen wir die Ansichten der alten und neuen Novatianer, sowie der Katharer. Wir verwerfen vor allem die gewinnsüchtige Lehre des Papstes von der Buße, und auf seine Simonie und seinen simonistischen Ablaßhandel wenden wir jenes Urteil des Petrus an: „Dein Geld fahre mit dir ins Verderben, weil du gemeint hast, die Gabe Gottes durch Geld erkaufen zu können. Du hast weder Anteil noch Anrecht an dieser Sache, denn dein Herz ist nicht aufrichtig vor Gott“ (Apg. 8,20-21). Wir missbilligen auch die Meinung jener, die glauben, durch eigene Sühnwerke für ihre begangenen Sünden Genugtuung leisten zu können. Denn wir lehren, dass Christus allein durch sein Leiden und Sterben die Genugtuung, Begnadigung und Bezahlung für alle Sünden sei (Jes. 53; 1. Kor. 1,30). Trotzdem hören wir nicht auf, wie wir vorher gesagt haben, auf die Abtötung des Fleisches zu dringen, doch fügen wir immerhin bei, man dürfe diese ja nicht Gott selbstbewusst als Sühne für die Sünde aufdrängen, sondern sie in aller Demut üben, wie es Kindern Gottes geziemt, als einen neuen Gehorsam aus Dankbarkeit für die Erlösung und vollkommene Genugtuung, die wir durch den Tod und die Sühnetat des Sohnes Gottes erlangt haben.