Hutter - Heilige Schrift

 

Leonhard Hutter (1563-1616): Inbegriff der Glaubens-Artikel aus der heiligen Schrift und den symbolischen Büchern zusammengestellt (Compendium locorum theologicorum ex scripturis sacris et libro concordiae), Leipzig 1837

 

Leonhard Hutter über die Heilige Schrift:

 

Erster Artikel. Von der heiligen Schrift.

 

1. Was ist die heilige Schrift?

 

Sie ist das Wort Gottes, welches auf den Antrieb des heiligen Geistes von den Propheten und Aposteln niedergeschrieben ist und uns von dem Wesen und dem Willen Gottes unterweiset. + Und zwar werden unter dem Namen der heiligen Schrift im Allgemeinen alle biblische Bücher befasst: vorzugweise aber bezeichnen wir mit dieser Benennung diejenigen Bücher, welche kanonische sind. Weshalb auch die heilige Schrift selbst kanonisch genannt wird. (Chemnitz zu dem Trid. Concil.)

 

+2. Also haben die biblischen Bücher nicht ein und dasselbe Ansehen?

 

Nein. Denn einige sind kanonische: andere apokryphische. Jene haben ein festes Ansehen, was allen andern vorgezogen werden muss; diese aber, ob sie gleich die Kirche liest zur Erbauung des Volks, so werden sie doch nicht angewandt, um das Ansehen der kirchlichen Glaubensartikel zu begründen, wie der heilige Hieronymus spricht. (Chemnitz.)

 

+3. Warum werden sie kanonische genannt?

 

So werden sie genannt von: Kanon (d. i. Regel, Richtschnur), weil sie gleichsam die vollkommenste Waage und Richtschnur sind, nach welcher über die Bücher aller andern, sowohl der Gläubigen, als Ungläubigen, frei geurteilt wird. Dass sie selbst aber nach etwas Anderem beurteilt werde, darf durchaus nicht geschehen. (Chrysostomus Homil. 13 zu 2 Korinth.) Es setzt aber die heil. Schrift selbst diese Benennung fest: Ps.19,5. Ihre Schnur gehet aus in alle Lande, und ihre Rede an der Welt Ende. Röm. 10,18. Ich sage aber: Haben sie es nicht gehöret? Zwar es ist ja in alle Lande ausgegangen ihr Schall, und in alle Welt ihr Worte. (S. 2) Gal. 6,16. Und wie viele nach dieser Regel einhergehen, über die sei Friede und Barmherzigkeit, und über den Israel Gottes. Phil.3,16. Doch so fern, dass wir nach Einer Regel, darin wir gekommen sind, wandeln, und gleich gesinnet sind. (Vgl. Chemnitz.)

 

+ 4. Woher aber hat die kanonische Schrift dieses Ansehen?

 

Dass die kanonische Schrift das sei, was sie in sich selbst ist, nämlich die göttliche Wahrheit, dies hat sie von keinem andern, als erstens von Gott selbst, ihrem Urheber. 2 Timoth. 3,16. Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit. 2 Petri 1,21. Denn es ist noch nie keine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht, sondern die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem heiligen Geist. Dann aber hat Gott selbst von diesem Ansehen der kanonischen Schrift Zeugnis ablegen gewollt durch die Kirche, nicht zwar durch eine jede, sondern durch diejenige nur, welche zu den Zeiten, wo die kanonischen Schriftsteller lebten, bestand, jedoch so, dass dieselbe nicht die Stelle eines Richters, sondern nur die eines Zeugen versieht. (Chemnitz.)

 

+ 5. Welche sind die apokryphischen Bücher?

 

Diejenigen, deren dunkler Ursprung denen nicht klar war, durch deren Zeugnis das Ansehen der wahren Schriften auf uns gekommen ist. (Augustin. 15. BB. v. Reich Gottes Kp. 23. Chemnitz.)

 

+ 6. Gibt es nicht auch andere Einteilungen der heiligen Schrift?

 

Ja. Denn nach den verschiedenen Zeiten und der verschiedenen Beschaffenheit der Kirche werden die biblischen Bücher eingeteilt in die Bücher des Alten und des Neuen Testamentes. Ebenso werden sie nach der innern Beschaffenheit unterschieden in gesetzliche, prophetische, evangelische u.s.w.

 

7. Ist denn die heilige Schrift deutlich und verständlich?

 

Sie ist es im hohen Grad; vorzüglich an alle den Stellen, welche vom Glauben und unserer Rechtfertigung vor Gott, und der ewigen Seligkeit handeln. Ps. 119,105. Dein Wort ist meines Fußes Leuchte, und ein Licht auf meinem Wege. (S. 3) 2 Petr. 1,19. Wir haben ein festes, prophetisches Wort; und ihr tut wohl, dass ihr darauf achtet, als auf ein Licht, das da scheinet in einem dunkeln Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in eueren Herzen.

 

+ 8. Ist die kanonische Schrift vollkommen und hinreichend, zur Unterweisung sowohl im Glauben, als in den Sitten?

 

Ganz gewiss ist sie dies, 2 Timoth. 3,16.17: „denn alle Schrift von Gott eingegeben ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit; dass ein Mensch Gottes sei vollkommen, zu allem guten Werk geschickt“. Und im vorhergehenden 15. Vers: „Und weil du von Kind auf die heilige Schrift weißt; kann dich dieselbige unterweisen zur Seligkeit, durch den Glauben an Christo Jesu.“

 

*9. So wird die kanonische Schrift Norm und Richter sein auch in den kirchlichen Streitigkeiten?

 

Es gibt durchaus keine andere Norm und Regel, nach welcher alle Lehren und Lehrer geschätzt und beurteilt werden müssen, als die Prophetischen und apostolischen Schriften, sowohl des Alten, als des Neuen Testaments; wie geschrieben steht: Ps. 119,105. Dein Wort ist meines Fußes Leuchte, und ein Licht auf meinem Wege. – Und Gal. 1,8. Aber so auch Wir, oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen anders, denn das wir euch gepredigt haben; der sei verflucht. S. Conc. Formel, Summar. Begr. Einl. S. 805. 1. „Wir glauben, lehren und bekennen, dass die einige Regel und Richtschnur, nach welcher zugleich alle Lehren und Lehrer gerichtet und geurteilt werden sollen, sein allein die prophetischen und apostolischen Schriften, altes und neues Testament, wie geschrieben steht (Ps. 119,105): Dein Wort ist meines Fußes Leuchte, und ein Licht auf meinem Wege. Und Sct. Paulus: Wenn ein Engel vom Himmel käme und predigte anders, der soll verflucht sein.“ (Gal. 1,8.) Conc. Form. Erklärung, Vorrede. S. 875. 1. „Als erstlich, zu den prophetischen und apostolischen Schriften, altes und neues Testaments, als zu dem reinen, lauteren Brunnen Israels, welche allein die einige, wahrhaftige Richtschnur ist, nach der alle Lehrer und Lehre zu richten und zu urteilen sein.“ (S. 4)

 

*10. Haben nicht die Schriften der Väter und der Neuern gleiches Ansehen mit der heiligen Schrift?

 

„Andere Schriften aber, der alten oder neuen Lehrer, wie sie Namen haben, sollen der heiligen Schrift nicht gleich gehalten, sondern allzumal mit einander, derselben unterworfen, und anders oder weiter nicht angenommen werden, denn als Zeugen, welchergestalt nach der Apostel Zeit, und an welchen Orten solche Lehre der Propheten und Apostel erhalten worden“. Concord. Form. Summar. Begr. ebend.

 

*11. Was hältst du von den allgemeinen (ökumenischen) oder katholischen Symbolen (Glaubensbekenntnissen)?

 

Ich halte, dass sie zwar kurze, aber ganz vorzüglich fromme und im Worte Gottes fest gegründete Bekenntnisse des christlichen Glaubens sind: entgegengesetzt jenen Ketzern, welche teils bei Lebzeiten der Apostel, teils aber nach ihrer Zeit aufgestanden sind. Conc. Form. Summar. Begr. S. 806. „Und nachdem gleich nach der Apostel Zeit, auch noch bei ihrem Leben falsche Lehrer und Ketzer eingerissen, und wider dieselbige in der ersten Kirche Symbola, d. i. kurze runde Bekenntnisse gestellt, welche vor den einhelligen allgemeinen, christlichen Glauben und Bekenntnis der rechtgläubigen und wahrhaftigen Kirchen gehalten, als nämlich das Symbolum Apostolicum, Symbolum Nicaenum und Symbolum Athanasii: Bekennen wir uns zu denselben und verwerfen hiemit alle Ketzereien und Lehre, so, denselben zuwider, in die Kirche Gottes eingeführt worden sind.“

 

*12. Wie viel gibt es solche Glaubensbekenntnisse?

 

Drei. Das Apostolische, das Nicänische und das Athanasianische.

 

*13. Erkennen nicht unsere Kirchen mehre symbolische Bücher an?

 

Ja! aber nicht anders, als dass sie, ebenso wie jene, Zeugnis geben, wie zu ihrer Zeit in der Kirche gelehrt worden: jedoch in geringerem Grade, weil sie mit wenigerer Übereinstimmung der Zeiten angenommen sind.

 

*14. Welche sind diese symbolischen Bücher unserer Kirchen?

 

1. Die Augsburgische Confession, und zwar die erste und durchaus unveränderte, welche im J. dem Kaiser Karl V. zu Augsburg überreicht worden ist. 2. Die Apologie (S. 5)(d. i. Verteidigung) derselben. 3. Die Schmalkaldischen Artikel. 4. Die beiden Katechismen Lutheri. Und endlich 5. die Formel der christlichen Eintracht. (Concordien-Formel.)

 

*15. Behaupten alle symbolischen Schriften, welche du bisher aufgezählt hast, gleiches Ansehen?

 

Nein. Denn diejenigen, welche mit einmütiger Zustimmung der ganzen allgemeinen Kirche angenommen sind, wie jene drei allgemeinen Symbole, behaupten ein weit größeres Ansehen, als diejenigen, welche durch das Urteil und Zustimmung einiger wenigen Partikular-Kirchen angenommen sind. Obgleich sie alle darin übereinkommen, dass sie in einem hohen Grade von der heiligen Schrift zu unterscheiden sind. Conc. Form. Summar. Begr. S. 807. „Solchergestalt wird der Unterschied zwischen der heiligen Schrift altes und neues Testaments und allen andern Schriften enthalten, und bleibt allein die heilige Schrift der einige Richter, Regel und Richtschnur, nach welcher, als dem einigen Probiersteine, sollen und müssen alle Lehren erkannt und geurteilt werden, ob sie gut oder bös, recht oder unrecht sein.“ „Die andern Symbola aber, und angezogene Schriften, sind nicht Richter, wie die heilige Schrift, sondern allein Zeugnis und Erklärung des Glaubens, wie jeder Zeit die heilige Schrift in streitigen Artikeln in den Kirchen Gottes, von den damals Lebenden verstanden und ausgelegt, und derselben widerwärtige Lehre verworfen und verdammet worden.“

 

*16. Welches ist denn jener Unterschied?

 

Die heilige Schrift wird allein als Richter, Regel und Richtschnur anerkannt, nach welcher, als dem einigen Probierstein, alle Lehren zu prüfen und zu urteilen sind, ob sie fromm oder böse, wahr oder falsch sind. Die übrigen Symbole aber oder andere Schriften, haben nicht das Ansehen eines Richters: denn dieses gebührt allein der heiligen Schrift. Concord. Form. ebend.

 

*17. Welches ist nun der Nutzen und Zweck jener symbolischen Bücher?

 

Dieser, dass nur für unsern Glauben sie Zeugnis ablegen, denselben erklären, und zeigen, wie die heilige Schrift in den einzelnen Zeiten in streitigen Artikeln in der Kirche Gottes von den Lehrern, welche damals lebten, verstanden und erklärt worden ist: und mit welchen Gründen die mit der heiligen Schrift streitenden Lehren verworfen und verdammt worden sind. (S. 6)