Melanchthon - Sünde

 

Melanchthon in der Augsburgischen Konfession:

 

Der II. Artikel: Von der Erbsünde

 

Weiter wird bei uns gelehret, daß nach Adams Fall alle Menschen, so natürlich geboren werden, in Sünden empfangen und geboren werden, das ist, daß sie alle von Mutterleibe an voller böser Lust und Neigung sind und keine wahre Gottesfurcht, kein wahren Glauben an Gott, von Natur haben können: daß auch dieselbige angeborene Seuche und Erbsünde wahrhaftiglich Sünde sei, und verdamme alle die unter ewigen Zorn Gottes, so nicht durch die Taufe und heili-gen Geist wiederum neu geborn werden. Hieneben werden verworfen die Pe-lagianer und andere, so die Erbsund nicht für Sund halten, damit sie die Natur fromm machen durch naturlich Kräft, zu Schmach dem Leiden und Verdienst Christi.

 

Melanchthon in der Apologie zur Augsburgischen Konfession:

 

Artikel II. Von der Erbsünde.

 

Den andern Artikel, von der Erbsünde, lassen ihnen auch die Widersacher ge-fallen, doch fechten sie an, als haben wir's nicht recht getroffen, da wir gesagt, was die Erbsünde sei, so wir doch zufällig allein des Orts davon geredet. Da wird alsbald im Eingang die kaiserliche Majestät befinden, daß unsere Widerwärtigen in dieser hochwichtigen Sache oft gar nichts merken noch verstehen, wiederum auch oft unsere Worte böslich und mit Fleiß uns verkehren oder je zu Miß-verstand deuten. Denn so wir aufs allereinfältigste und klärste davon geredet, was die Erbsünde sei oder nicht sei, so haben sie aus eitel Gift und Bitterkeit die Worte, so an ihnen selbst recht und schlecht geredet, mit Fleiß übel und unrecht gedeutet, Denn also sagen sie: „Ihr sprecht, die Erbsünde sei dieses, daß uns ein solcher Sinn und Herz angeboren ist, darin keine Furcht Gottes, kein Vertrauen gegen Gott ist, das ist je eine wirkliche Schuld und selbst ein Werk oder actualis culpa; darum ist's nicht Erbsünde.“ Es ist leichtlich zu merken und abzunehmen, daß solche cavillatio von Theologen, nicht von des Kaisers Rat herkommt. Wiewohl wir nun solche neidische, gefährliche, mutwillige Deutungen wohl wissen zu widerlegen, doch, daß alle redlichen und ehrbaren Leute verstehen mögen, daß wir in dieser Sache nichts Ungeschicktes lehren, so bitten wir, sie wollen unsere vorige deutsche Konfession, so zu Augsburg überantwortet, ansehen; die wird genug anzeigen, daß wir nichts Neues oder Ungehörtes lehren. Denn in derselben ist also geschrieben: „Weiter wird gelehrt, daß nach dem Fall Adams alle Menschen, so natürlich geboten werden, in Sünden empfan-gen und geboren werden, das ist, daß sie alle von Mutterleibe an voll böser Lüste und Neigung sind, keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott von Natur haben können.“ In diesem erscheint genug, daß wir von allen, so aus Fleisch geboren sind, sagen, daß sie untüchtig sind zu allen Gottessachen, Gott nicht herzlich fürchten, ihm nicht glauben noch vertrauen können. Da reden wir von angeborner böser Art des Herzens, nicht allein von actuali culpa oder von wirklicher Schuld und Sünde. Denn wir sagen, daß in allen Adamskindern eine böse Neigung und Lust sei, und daß niemand ihm selbst ein Herz könne oder vermöge zu machen, das Gott erkenne oder Gott herzlich vertraue, herzlich fürchte. Ich wollte doch gerne hören, was sie da schelten wollen oder möchten. Denn fromme, redliche Leute, denen die Wahrheit lieb, sehen ohne allen Zweifel, daß dieses recht und wahr ist. Denn auf die Meinung sagen wir in unserm lateinischen Bekenntnis, daß in einem natürlichen Menschen nicht potentia, das ist, nicht so viel Könnens, Vermögens sei auch nicht an unschuldigen Kindlein, welche auch aus Adam untüchtig sind, immer herzlich Gott zu fürchten und herzlich Gott zu lieben. In den Alten aber und Erwachsenen sind noch über die angeborne böse Art des Herzens auch noch actus und wirkliche Sünden. Darum wenn wir angeborne böse Lust nennen, meinen wir nicht allein die actus, böse Werke oder Früchte, sondern inwendig die böse Neigung, welche nicht aufhört, solange wir nicht neu geboren werden durch Geist und Glauben. Aber danach wollen wir mit mehr Worten anzeigen, daß wir von der Erbsünde, nämlich was dieselbe sei oder nicht, auch auf geübte, alte Weise der Scholastiker und nicht so ungewöhnlich geredet haben. Ich muß aber erst anzeigen, aus was Ursachen ich an dem Ort vornehmlich solcher und nicht anderer Worte habe brauchen wollen. Die Widersacher selbst reden also davon in ihren Schulen und bekennen, daß die Materie oder Materiale der Erbsünde, wie sie es nennen, sei böse Lust. Darum, so ich habe wollen sagen, was Erbsünde sei, ist das nicht zu übergehen gewesen, sonderlich dieser Zeit, da etliche von derselben angebornen bösen Lust mehr heidnisch aus der Philosophie denn nach dem göttlichen Wort oder nach der Heiligen Schrift reden. Denn etliche reden also davon, daß die Erb-sünde an der menschlichen Natur nicht sei eine angeborne böse Art, sondern allein ein Gebrechen und aufgelegte Last oder Bürde, die alle Adamskinder um fremder Sünde willen, nämlich Adams Sünde halben, tragen müssen, und darum alle sterblich seien, nicht daß sie selbst alle von Art und aus Mutterleibe Sünde ererbten. Darüber sagen sie dazu, daß kein Mensch ewig verdammt werde allein um der Erbsünde oder Erbjammers willen, sondern gleichwie von einer leib-eigenen Magd leibeigene Leute und Erbknechte geboren werden, nicht ihrer eigenen Schuld halben, sondern daß sie der Mutter Unglücks und Elends entgelten und tragen müssen, so sie doch an ihnen selbst, wie andere Men-schen, ohne Wandel geboren werden: so sei die Erbsünde auch nicht ein angebornes Übel, sondern allein ein Gebrechen und Last, die wir von Adam tragen, aber für uns selbst darum nicht in Sünden und Erbungnaden stecken. Damit ich nun anzeigte, daß uns solche unchristliche Meinung nicht gefiele, habe ich dieser Worte gebraucht: „Alle Menschen von Mutterleibe an sind alle voll böser Lüste und Neigung“ und nenne die Erbsünde auch darum eine Seuche, anzuzeigen, daß nicht ein Stück, sondern der ganze Mensch mit seiner ganzen Natur mit einer Erbseuche von Art in Sünden geboren wird. Darum nennen wir es auch nicht allein eine böse Lust, sondern sagen auch, daß alle Menschen in Sünden ohne Gottesfurcht, ohne Glauben geboren werden. Dasselbe setzen wir nicht ohne Ursache dazu. Die Schulzänker oder Scholastici, die reden von der Erbsünde, als sei es allein ein leichtes, geringes Gebrechen, und verstehen nicht, was die Erbsünde sei, oder wie es die andern heiligen Väter gemeint haben. Wenn die Sophisten schreiben, was Erbsünde sei, was der fomes oder böse Neigung sei, reden sie unter andern davon, als sei es ein Gebrechen am Leibe, wie sie denn wunderkindisch von Sachen zu reden pflegen, und geben Fragen vor: ob dasselbe Gebrechen aus Vergiftung des verbotenen Apfels im Paradies oder aus Anblasen der Schlange Adam erst angekommen sei; item, ob es mit dem Gebrechen die Arznei je länger, je ärger macht. Mit solchen zänkischen Fragen haben sie diese ganze Hauptsache und die vornehmste Frage, was die Erbsünde doch sei, gar verwirrt und unterdrückt. Darum, wenn sie von der Erbsünde reden, lassen sie das Größte und Nötigste außen, und unsers rechten, größten Jammers gedenken sie gar nicht, nämlich daß wir Menschen alle also von Art geboren werden, daß wir Gott oder Gottes Werk nicht kennen, nicht sehen noch merken, Gott verachten, Gott nicht ernstlich fürchten noch vertrauen, seinem Gericht oder Urteil feind sind; item, daß wir alle von Natur vor Gott als einem Tyrannen fliehen, wider seinen Willen zürnen und murren, item, uns auf Gottes Güte gar nicht verlassen noch wagen, sondern allzeit mehr auf Geld, Gut, Freunde verlassen. Diese geschwinde Erbseuche, durch welche die ganze Natur verderbt, durch welche wir alle solch Herz, Sinn und Gedanken von Adam ererben, welches stracks wider Gott und das erste, höchste Gebot Gottes ist, übergehen die Scholastici und reden davon, als sei die menschliche Natur unver-derbt, vermöge, Gott groß zu achten, zu lieben über alles, Gottes Gebote zu halten usw., und sehen nicht, daß sie wider sich selbst sind. Denn solches aus eigenen Kräften vermögen, nämlich Gott groß zu achten, herzlich zu lieben, seine Gebote zu halten, was wäre das anders, denn eine neue Kreatur im Paradies, gar rein und heilig sein? So wir nun aus unsern Kräften so Großes vermöchten, Gott über alles zu lieben, seine Gebote zu halten, wie die Scho-lastici tapfer dürfen heraussagen, was wäre dann die Erbsünde? Und so wir aus eigenen Kräften gerecht würden, so ist die Gnade Christi vergeblich; was dürften wir auch des Heiligen Geistes, so wir aus menschlichen Kräften Gott über alles lieben und seine Gebote halten können? Hier sicht je jedermann, wie ungeschickt die Widersacher von diesem hohen Handel reden. Sie bekennen die kleinen Gebrechen an der sündlichen Natur, und des allergrößten Erbjammers und Elendes gedenken sie nicht, da doch die Apostel alle über klagen, das die ganze Schrift allenthalben meldet, da alle Propheten über schreien, wie der 14. Psalm und etliche andere Psalmen sagen: „Da ist nicht, der gerecht sei, auch nicht einer; da ist nicht, der nach Gott fraget; da ist nicht, der Gutes tut, auch nicht einer.“ „Ihr Schlund ist ein offenes Grab, Otterngift ist unter ihren Lippen. Es ist keine Furcht Gottes vor ihren Augen“, Ps. 5,10. So doch auch die Schrift klar sagt, daß uns solches alles nicht angeflogen, sondern angeboren sei. Dieweil aber die Scholastici unter die christliche Lehre viel Philosophie gemengt und viel von dem Licht der Vernunft und den actibus elicitis reden, halten sie zu viel vom freien Willen und unsern Werken. Darüber haben sie gelehrt, daß die Menschen durch ein äußerlich ehrbar Leben vor Gott, fromm werden, und haben nicht gesehen die angeborne Unreinigkeit inwendig der Herzen, welche niemand gewahr wird denn allein durch das Wort Gottes, welches die Scholastici in ihren Büchern sehr spärlich und selten handeln. Wir sagen auch wohl, daß äußerlich ehrbar zu leben etlichermaßen in unserm Vermögen stehe, aber vor Gott fromm und heilig zu werden, ist nicht unsers Vermögens. Das sind die Ursachen, warum ich des Orts, als ich habe wollen sagen, was die Erbsünde sei, der angebornen bösen Lust gedacht habe und gesagt, daß aus natürlichen Kräften kein Mensch vermag Gott zu fürchten oder ihm zu vertrauen. Denn ich habe wollen anzeigen, daß die Erbsünde auch diesen Jammer in sich begreife, nämlich, daß kein Mensch Gott kennt oder achtet, keiner ihn herzlich fürchten oder lieben oder ihm vertrauen kann. Das sind die größten Stücke der Erbsünde, durch welche wir alle aus Adam stracks wider Gott, wider die erste Tafel Mosis und das größte, höchste göttliche Gebot gesinnt und geartet sind. Und wir haben da nichts Neues gesagt. Die alten Scholastici, so man sie recht versteht, haben auch gleich dasselbe gesagt; denn sie sagen, die Erbsünde sei ein Mangel der ersten Reinigkeit und Gerechtigkeit im Paradies. Was ist aber justitia orginalis oder die erste Gerechtigkeit im Paradies? Gerechtigkeit und Heiligkeit in der Schrift heißt je nicht allein, wenn ich die andere Tafel Mosis halte, gute Werke tue und dem Nächsten diene, sondern denjenigen nennt die Schrift fromm, heilig und gerecht, der die erste Tafel, der das erste Gebot hält, das ist, der Gott von Herzen fürchtet, ihn liebt und sich auf Gott verläßt. Darum ist Adams Reinigkeit und unverrücktes Wesen nicht allein eine feine, vollkommene Gesundheit und allenthalben reines Geblüt, unverderbte Kräfte des Leibes gewesen, wie sie davon reden, sondern das Größte an solcher edlen ersten Kreatur ist gewesen ein helles Licht im Herzen, Gott und sein Werk zu erkennen, eine rechte Gottes-furcht, ein recht herzliches Vertrauen gegen Gott und allenthalben ein recht-schaffener, gewisser Verstand, ein feines, gutes, fröhliches Herz gegen Gott und alle göttlichen Sachen. Und das bezeugt auch die Heilige Schrift, da sie sagt, daß der Mensch nach Gottes Bild und Gleichnis geschaffen sei. Denn was ist das anders, denn daß göttliche Weisheit und Gerechtigkeit, die aus Gott ist, sich im Menschen bildet, dadurch wir Gott erkennen, durch welche Gottes Klarheit sich in uns spiegelt, das ist, daß dem Menschen erstlich, als er geschaffen, diese Gaben gegeben seien, recht, klare Erkenntnis Gottes, rechte Furcht, rechtes Vertrauen und dergleichen? Denn also legt auch solches aus vom Bild und Gleichnis Gottes Irenäus; und Ambrosius, so er allerlei auf die Meinung redet, sagt unter anderem: „Die Seele ist nicht nach dem Bilde Gottes geschaffen, in welcher Gott nicht allzeit ist.“ Und Paulus zu den Ephesern und Kolossern zeigt genug an, daß Gottes Bild in der Schrift nichts anderes heiße denn Erkenntnis Gottes und rechtschaffenes Wesen und Gerechtigkeit vor Gott. Und Longobardus sagt frei heraus, daß „die erstgeschaffene Gerechtigkeit in Adam sei das Bild und Gleichnis Gottes, welches an dem Menschen von Gott gebildet ist“. Ich erzähle die Meinung und Sprüche der Alten, welche an der Auslegung Augustini, wie derselbe vom Bilde Gottes redet, nichts hindern. Darum die Alten, da sie sagen, was die Erbsünde sei, und sprechen, es sie ein Mangel der ersten ange-schaffenen Gerechtigkeit, da ist ihre Meinung, daß der Mensch nicht allein am Leibe oder geringsten, niedersten Kräften verderbt sei, sondern daß er auch dadurch verloren habe diese Gaben: rechte Erkenntnis Gottes, recht Liebe und Vertrauen gegen Gott und die Kraft, das Licht im Herzen, so ihm zu dem allem Liebe und Lust macht. Denn die Scholastici oder Theologen selbst in Schulen lehren, daß dieselbe angeborne Gerechtigkeit uns nicht möglich wäre gewesen ohne sonderliche Gaben und ohne Hilfe der Gnade. Und dieselben Gaben nennen wir Gottesfurcht, Gotteserkenntnis und Vertrauen gegen Gott, damit man es verstehen möge. Aus diesem allem erscheint genugsam, daß die Alten, da sie sagen, was die Erbsünde sei, gleich mit uns stimmen, und auch ihre Meinung ist, daß wir durch die Erbsünde in den Jammer gekommen, geboren, daß wir kein gutes Herz, welches Gott recht liebt, gegen Gott haben, nicht allein kein reines, gutes Werk zu tun oder vollbringen vermögen. Gleich dasselbe meint auch Augustinus, da er auch will sagen, was die Erbsünde sei, und pflegt die Erbsünde eine böse Lust zu nennen; denn er will anzeigen, daß nach Adams Fall anstatt der Gerechtigkeit böse Lust uns angeboren wird. Denn von dem Fall an, dieweil wir, als von Art sündlich geboren, Gott nicht fürchten, lieben noch ihm vertrauen, so tun wir nichts anderes, denn daß wir uns auf uns selbst verlassen, verachten Gott oder erschrecken und fliehen von Gott. Und also ist in Augustinus' Worten auch die Meinung gefaßt und begriffen derjenigen, die da sagen, die Erbsünde sei ein Mangel der ersten Gerechtigkeit, das ist, die böse Lust, welche anstatt derselben Gerechtigkeit uns anhängt. Und ist die böse Lust nicht allein eine Verderbung oder Verrückung der ersten reinen Leibesgesundheit Adams im Paradies, sondern auch eine böse Lust und Neigung, da wir nach den aller-besten, höchsten Kräften und Licht der Vernunft dennoch fleischlich wider Gott geneigt und gesinnt sind. Und diejenigen wissen nicht, was sie sagen, die da lehren, der Mensch vermöge aus seinen Kräften Gott über alles zu lieben, und müssen doch zugleich bekennen, es bleibe solange dies Leben währt, noch böse Lust, sofern sie vom Heiligen Geist nicht gänzlich getötet ist. Derhalben wir so eigentlich beides erwähnt und ausgedrückt, da wir haben lehren wollen, was die Erbsünde sei, beide die böse Lust und auch den Mangel der ersten Gerechtigkeit im Paradies, und sagen, derselbe Mangel sei, daß wir Adamskinder Gott von Herzen nicht vertrauen, ihn nicht fürchten noch lieben. Die böse Lust sei, daß natürlich wider Gottes Wort all unser Sinn, Herz und Mut steht, da wir nicht allein suchen allerlei Wollust des Leibes, sondern auch auf unsere Weisheit und Gerechtigkeit vertrauen und dagegen Gottes vergessen und wenig, ja gar nichts achten. Und nicht allein die alten Väter, als Augustinus und dergleichen, sondern auch die neulichsten Lehrer und Scholastici, die etwas Verstand gehabt, lehren, daß diese zwei Stücke sämtlich die Erbsünde sind, nämlich der Mangel und die böse Lust. Denn also sagt St. Thomas, daß „Erbsünde ist nicht allein ein Mangel der ersten Gerechtigkeit, sondern auch eine unordentliche Begierde oder Lust in der Seele. Derhalben ist es“, sagt er, „nicht allein ein lauterer Mangel, sondern auch aliquid positivum“. Und Bonaventura sagt auch klar: „Wenn man fragt, was die Erbsünde sei, ist dies die rechte Antwort, daß es eine ungewehrte böse Lust sei. Auch ist die rechte Antwort, das es ein Mangel sei der Gerechtigkeit, und eins gibt das andere.“ Gleich dasselbe meint auch Hugo, da er sagt: „Die Erb-sünde ist Blindheit im Herzen und böse Lust im Fleische.“ Denn er will anzeigen, daß wir Adamskinder alle so geboren werden, daß wir Gott nicht kennen, Gott verachten, ihm nicht vertrauen, ja ihn auch fliehen und hassen. Denn das hat Hugo wollen kurz begreifen, da er gesagt: ignorantia in mente, Blindheit oder Unwissenheit im Herzen. Und die Sprüche auch der neuesten Lehrer stimmen überein mit der Heiligen Schrift. Denn Paulus nennt die Erbsünde unter Zeiten mit klaren Worten einen Mangel göttlichen Lichtes usw. 1. Kor. 2,14: „Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geiste Gottes.“ Und an andern Orten nennt er es böse Lust, als zu den Römern am 7,23, da er sagt: „Ich sehe ein ander Gesetz in meinen Gliedern“ usw., welche Lust allerlei böse Früchte gebiert. Ich könnte hier wohl viel mehr Sprüche der Schrift vorbringen von beiden diesen Stücken; aber in dieser öffentlichen Wahrheit ist es nicht not. Ein jeder Verständiger wird leichtlich sehen und merken, daß also ohne Gottesfurcht, ohne Vertrauen im Herzen sein, sind nicht allein actus oder wirkliche Sünden, sondern ein angeborner Mangel des göttlichen Lichtes und alles Guten, welcher da bleibt, solange wir nicht durch den Heiligen Geist neugeboren und durch ihn erleuchtet werden. Wie wir nun bisher von der Erbsünde geschrieben und gelehrt, so lehren wir nichts Neues, nichts anderes denn die Heilige Schrift, die gemeine heilige christliche Kirche; sondern solche nötige, tapfere, klare Sprüche der Heiligen Schrift und der Väter, welche durch ungeschicktes Gezänk der Sophisten unterdrückt gewesen, bringen wir wieder an Tag und wollten gerne die christliche Lehre rein haben. Denn es ist je am Tage, daß die Sophisten und Schulzänker nicht verstanden haben, was die Väter mit dem Wort „Mangel der ersten Ge-rechtigkeit“ gemeint. Dies Stück aber eigentlich und richtig zu lehren, und was die Erbsünde sei oder nicht sei, ist gar hoch vonnöten, und kann niemand sich nach Christo, nach dem unaussprechlichen Schatz göttlicher Huld und Gnade, welche das Evangelium vorträgt, herzlich sehnen oder danach Verlangen haben, der nicht seinen Jammer und Seuche erkennt, wie Christus sagt Mat. 9,12; Mark 2,17: „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht.“ Alles heilige ehrbare Leben, alle guten Werke, soviel immer ein Mensch auf Erden tun mag, sind vor Gott eitel Heuchelei und Greuel, wir erkennen denn erst, daß wir von Art elende Sünder sind, welche in Ungnade Gottes sind, Gott weder fürchten noch lieben. Also sagt der Prophet Jeremias 31,19: „Dieweil du mir es gezeiget hast, bin ich er-schrocken.“ Und der 116. Psalm: „Alle Menschen sind Lügner“, das ist, sie sind nicht recht gesinnt von Gott. Hier schreien nun die Widersacher heftig wider D. Luther, daß er geschrieben hat, die Erbsünde bleibe auch nach der Taufe, und sagen dazu, derselbe Artikel sei billig verdammt von Papst Leo X. Aber kaiserliche Majestät wird hier öffentlich finden, daß sie uns ganz unrecht tun; denn die Widersacher verstehen sehr wohl, auf was Meinung D. Luther das geredet will haben, da er sagt, die Erbsünde bleibe nach der Taufe. Er hat allzeit klar also geschrieben, daß die heilige Taufe die ganze Schuld und Erbpflicht der Erbsünde wegnimmt und austilgt, wiewohl das Material (wie sie es nennen) der Sünde, nämlich die böse Neigung und Lust, bleibt. Darüber in allen seinen Schriften setzt er noch dazu vom selben Material, daß der Heilige Geist, welcher gegeben wird durch die Taufe, anfängt, inwendig die übrigen bösen Lüste täglich zu töten und zu löschen, und bringt ins Herz ein neues Licht, einen neuen Sinn und Mut. Auf die Meinung redet auch Augustinus, da er also sagt; „Die Erbsünde wird in der Taufe vergeben, nicht daß sie nicht mehr sei, sondern daß sie nicht zugerechnet werde.“ Da bekennt Augustinus öffentlich, daß die Sünde in uns bleibt, wiewohl sie uns nicht zugerechnet wird. Und dieser Spruch Augustini hat den Lehrern hernach so wohl gefallen, daß er auch im Dekret angezogen wird. Und wider Julianus sagt Augustinus: „Das Gesetz, das in unsern Gliedern ist, ist weggetan durch die geistliche Wiedergeburt und bleibt doch im Fleische, welches ist sterblich. Es ist hinweggetan, denn die Schuld ist ganz los durch das Sakra-ment, dadurch die Gläubigen neugeboren werden; und bleibt noch da, denn es wirkt böse Lüste, wider welche kämpfen die Gläubigen.“ Daß D. Luther so hält und lehrt, wissen die Widersacher fast wohl, und so sie es nicht können anfech-ten, sondern selbst bekennen müssen, verkehren sie ihm böslich die Worte und deuten ihm seine Meinung fälschlich, die Wahrheit zu unterdrücken und un-schuldig zu verdammen. Aber weiter disputieren die Widersacher, daß die böse Lust eine Last und aufgelegte Strafe sei und sei nicht eine solche Sünde, die des Todes und Verdammnis schuldig sei. Dawider sagt D. Luther, es sei eine solche verdammliche Sünde. Ich habe hier oben gesagt, daß Augustinus auch solches meldet, die Erbsünde sei die angeborne böse Lust. Soll dieses übel geredet sein, mögen sie es mit Augustino ausfechten. Darüber sagt Paulus Röm. 7,7.23: „Die Sünde erkannte ich nicht ohne durch das Gesetz; denn ich wußte nichts von der Lust, wo das Gesetz nicht gesagt hätte: Laß dich nicht gelüsten.“ Da sagt je Paulus dürre heraus: Ich wußte nicht, daß die Lust Sünde war usw. Item: „Ich sehe ein ander Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz, welches ist in meinen Gliedern.“ Dieses sind Pauli helle, gewisse Worte und klare Sprüche; da vermag keine Glosse, kein listiges Fündlein nichts wider; diese Sprüche werden alle Teufel, alle Menschen nicht umstoßen können. Da nennt er klar die böse Lust eine Sünde; doch sagt er, daß solche Sünde denjenigen, so an Christum glauben, nicht wird zugerechnet; doch an ihr selbst ist es gleichwohl wahrlich eine Sünde, des Todes und ewiger Verdammnis schuldig. Und hat keinen Zweifel, daß auch solches der alten Väter Meinung gewesen. Denn Augustinus disputiert und ficht heftig wider diejenigen, die da hielten, daß die böse Neigung und Lust am Menschen nicht Sünde wäre und weder gut noch böse, wie schwarzen oder weißen Leib haben auch weder gut noch böse ist. Und wenn die Widersacher werden vorgeben, daß fomes oder die böse Neigung weder gut noch böse sei, da werden nicht allein viele Sprüche der Schrift dawider sein, sondern auch die ganze Kirche und alle Väter. Denn alle erfahrenen, christlichen Herzen wissen, daß diese Stücke leider uns in der Haut stecken, angeboren sind, nämlich daß wir Geld, Gut und alle andern Sachen größer denn Gott achten, sicher dahingehen und leben; item, daß wir immer nach Art fleischlicher Sicher-heit also gedenken, Gottes Zorn und Ernst sei nicht so groß über die Sünde, als er doch gewiß ist; item, daß wir den edlen, unaussprechlichen Schatz des Evangelii und Versöhnung Christi nicht herzlich so teuer und edel achten, als er ist; item, daß wir wider Gottes Werk und Willen murren, daß er in Trübsalen nicht bald hilft und macht's, wie wir wollen. Item, wir erfahren täglich, daß es uns wehe tut, wie auch David und alle Heiligen geklagt, daß es den Gottlosen in dieser Welt wohl geht. Darüber fühlen alle Menschen, wie leicht ihr Herz entbrennt, jetzund mit Ehrgeiz, dann mit Grimm und Zorn, dann mit Unzucht. So nun die Wider-sacher selbst bekennen müssen, daß solcher Unglaube, solcher Ungehorsam wider Gott im Herzen ist, wenn schon nicht ganze Verwilligung (wie sie davon reden), sondern allein die Neigung und Lust da ist, wer will so kühn sein, daß er diese groben Stücke weder böse noch gut achte? Nun sind die klaren Psalmen und klaren Worte der Propheten da, daß die bekennen, daß sie sich also fühlen. Aber die Sophisten in Schulen haben zu dieser Sache wider die klare, öffentliche Schrift geredet und aus der Philosophie ihre eigenen Träume und Sprüche erdichtet, sagen, daß wir um der bösen Lüste willen weder böse noch gut, noch zu schelten noch zu loben sind; item, daß Lüste und Gedanken inwendig nicht Sünde sind, wenn ich nicht ganz drein verwillige. Dieselben Reden und Worte in der Philosophen Büchern sind zu verstehen von äußerlicher Ehrbarkeit vor der Welt und auch von äußerlicher Strafe vor der Welt. Denn da ist's wahr, wie die Juristen sagen: L. cogitationis, „Gedanken sind zollfrei und straffrei“. Aber Gott erforscht die Herzen; mit Gottes Gericht und Urteil ist's anders. Also flicken sie auch an diese Sache andere ungereimte Sprüche, nämlich: Gottes Geschöpf und die Natur könne an ihr selbst nicht böse sein. Das fechte ich nicht an, wenn es irgend geredet wird, da es statthat; aber dazu soll dieser Spruch nicht angezogen werden, die Erbsünde gering zu machen. Und dieselben Sprüche der Sophisten haben viel unsäglichen Schaden getan, durch welche sie die Philosophie und die Lehre, welche äußerliches Leben vor der Welt belangen, vermischen mit dem Evangelio und haben doch solches nicht allein in der Schule gelehrt, sondern auch öffentlich unverschämt vor dem Volk gepredigt. Und die ungöttlichen, irrigen, gefährlichen, schädlichen Lehren hatten in aller Welt überhandge-nommen; da ward nichts gepredigt denn unser Verdienst in aller Welt; dadurch ward die Erkenntnis Christi und das Evangelium ganz unterdrückt. Derhalben hat D. Luther aus der Schrift lehren und erklären wollen, wie eine große Todesschuld die Erbsünde vor Gott sei, und wie in großem Elend wir geboren werden, und daß die übrige Erbsünde, so nach der Taufe bleibt, an ihr selbst nicht indifferens sei, sondern bedarf des Mittlers Christi, daß sie uns Gott nicht zurechne, und ohne Unterlaß des Lichtes und Wirkung des Heiligen Geistes, durch welchen sie ausgefegt und getötet werde. Wiewohl nun die Sophisten und Scholastici anders lehren und beide von der Erbsünde und von derselben Strafe der Schrift ungemäß lehren, da sie sagen, der Mensch vermöge aus seinen Kräften Gottes Gebote zu halten, so wird doch die Strafe, so Gott auf Adams Kinder auf die Erbsünde gelegt, im ersten Buch Mosis viel anders beschrieben. Denn da wird die menschliche Natur verurteilt nicht allein zum Tod und zu anderem leiblichen Übel, sondern dem Reich des Teufels unterworfen. Denn da wird dieses schreckliche Urteil gefällt: „Ich will Feindschaft zwischen dir und dem Weibe, zwischen ihrem Samen und deinem Samen setzen“ usw. Der Mangel erster Gerechtigkeit und die böse Lust sind Sünde und Strafe. Der Tod aber und die andern leiblichen Übel, die Tyrannei und Herrschaft des Teufels sind eigentlich die Strafen und poenae der Erbsünde. Denn die menschliche Natur ist durch die Erbsünde unter des Teufels Gewalt dahingegeben und ist also gefangen unter des Teufels Reich, welcher manchen großen, weisen Menschen in der Welt mit schrecklichem Irrtum, Ketzerei und anderer Blindheit betäubt und verführt und sonst die Menschen zu allerlei Lastern dahinreißt. Wie es aber nicht möglich ist, den listigen und gewaltigen Geist, Satan, zu überwinden ohne die Hilfe Christi, also können wir uns aus eigenen Kräften aus dem Gefängnis auch nicht helfen. Es ist in allen Historien vom Anfang der Welt zu sehen und zu finden, wie eine unsäglich große Gewalt das Reich des Teufels sei. Man sieht, daß die Welt vom Höchsten bis zum Niedrigsten voll Gotteslästerung, voll großer Irrtümer, gottloser Lehre wider Gott und sein Wort ist. In den starken Fesseln und Ketten hält der Teufel jämmerlich gefangen viel weise Leute, viel Heuchler, die von der Welt heilig scheinen. Die andern führt er in andere grobe Laster: Geiz, Hoffart usw. So uns nun Christus darum gegeben ist, daß er dieselben Sünden und schweren Strafen der Sünden wegnehme, die Sünde, den Tod, des Teufels Reich uns zugut überwinde, kann niemand herzlich sich freuen des großen Schatzes, niemand die überschwenglichen Reichtümer der Gnade erkennen, er fühle denn von erst dieselbe Last, unser angebornes großes Elend und Jammer. Darum haben unsere Prediger von dem nötigen Artikel mit allem höchsten Fleiße gelehrt und haben nichts Neues gelehrt, sondern eitel klare Worte der Heiligen Schrift und gewisse Sprüche der Väter, Augustini und der andern. Dieses, achten wir, solle die kaiserliche Majestät ihr billig lassen genug sein wider das lose, kindische, ungegründete Vorbringen der Widersacher, durch welches sie der Unsern Artikel ohne Ursache ganz unbillig anfechten. Denn sie singen, sagen, wieviel, was und wie lange sie wollen, so wissen wir eigentlich das und sind's fürwahr gewiß, daß wir christlich und recht lehren und mit der gemeinen christ-lichen Kirche gleich stimmen und halten. Werden sie darüber weiter mutwilligen Zank einführen, so sollen sie sehen, es sollen hier, will's Gott, Leute nicht fehlen, die ihnen antworten und die Wahrheit dennoch erhalten. Denn die Widersacher wissen das mehrere Teil nicht, was sie reden. Denn wie oft reden und schreiben sie ihnen selbst Widerwärtiges? Verstehen auch ihre eigene Dialektika nicht vom Formal der Erbsünde, das ist, was eigentlich an ihrem Wesen die Erbsünde sei oder nicht sei, was auch der Mangel der ersten Gerechtigkeit sei. An diesem Ort aber haben wir nicht wollen von ihrer zänkischen Disputation subtiler oder weiter reden, sondern allein die Sprüche und Meinung der heiligen Väter, welchen wir auch gleichförmig lehren, mit klaren, gemeinen verständlichen Worten erzählen wollen.