Zwingli - Gebet

 

Zwingli in seinem "Kommentar" über das Gebet:

 

Wunderlich ist’s, dass auch das Gebet Erwerbsmittel geworden ist. Denn wenn man mit Recht gesagt hatte, das Gebet sei eine Erhebung des Herzens zu Gott, gibt es dann etwas Schamloseres als jene Verbindung des Herzens mit Gott zu schänden? Ein um Geld verkauftes Gebet ist offenbar Heuchelei gewesen, nicht Verkehr des Herzens mit Gott. Ich muss also auch über das Gebet sprechen, da man die Herzensandacht für ein verdienstliches Werk zu verkaufen wagte. Mit Recht hat man das Gebet als eine Erhebung des Herzens zu Gott bezeichnet, ... jeder Fromme bestätigt die Richtigkeit dieser Definition. Ich will darum zuerst von der Anbetung sprechen, der Ursprung jener Definition des Gebetes soll dann klar werden. „Anbeten“ bedeutet für die Hebräer so viel wie „verehren“ ... Auch bei den Lateinern wird „Menschen anbeten“ mitunter im Sinne von „achten, verehren“ genommen 2. Mos. 20,5 … „Anbeten“ heißt ferner, Gott, das heißt: dem Herrn und Vater, der Alles kann und will, das Herz angeloben, ergeben. Die fleischlich gesinnten Israeliten haben diese „Anbetung“ = Herzenshingabe an Elemente dieser Welt geknüpft. Sie ließen sie nämlich nur in Jerusalem stattfinden Joh. 4,20 ... Das war so gekommen: Der Herr hatte geboten, dreimal alljährlich sollten alle Kinder Israels zum Tempel oder zur Stiftshütte in Jerusalem kommen 5. Mos. 16,16. Das brachte den Priestern viel ein. Darum begannen sie die Gewissen mit ihren Überlieferungen an eine bestimmte Stätte zu binden, damit man um so häufiger nach Jerusalem käme; denn, so deuteten sie, mit leeren Händen dürfe man nicht vor Gott erscheinen 5. Mos. 16,16, während doch tatsächlich diese Bibelstelle nach dem hebräischen Originaltext diesen Sinn nicht hat, vielmehr: „Du wirst nicht vergeblich erscheinen“ – gleichsam ein Anreiz an die Trägen: lasst es Euch nicht verdrießen, zu mir zu kommen, Ihr werdet nicht umsonst kommen ... Die Anbetung, die Herzenserhebung, banden also die Priester an Jerusalem; das haben auch unsere, besser sage ich: die antichristischen Priester, bisher getan; sie luden in Kirchen, wo wir sehen und gesehen werden, zum Gebete ein, um bequem das Wort einschärfen zu können: „Du sollst vor dem Herrn, deinem Gotte, nicht mit leeren Händen erscheinen“, während doch Christus uns auf’s Kämmerlein verweist, damit das Herz frei vor Gott seine Not vorbringen kann. Frei ist die Anbetung, die Herzenshingabe, sie kann nicht an einen bestimmten Ort gebunden werden. Auch Christi Wort: „Gehe in dein Kämmerlein“ Mat. 6,6 darf man nicht so buchstäblich nehmen, dass man nur ein Gebet im Kämmerlein gestatten will; Paulus will die Männer überall beten lassen, nur sollen sie die Hände rein zu Gott erheben 1. Tim. 2,8. Offenbar ist also das ein wichtig Stück beim Gebet, reine Hände empor zu heben, das heißt aber nichts Anderes als nach Unschuld streben. Christus hat Joh. 4,23 f. unter An-betung – darüber wollte ich ja sprechen – ein fleißiges Achten auf Glauben und Frömmigkeit verstanden, wenn er sagte: „Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die wahrhaftigen Anbeter den Vater im Geiste und in der Wahrheit anbeten werden. Denn der Vater will, dass man ihn so anbetet. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten“. Schau, wie scharf und deutlich ist hier Gebet und Anbetung klargelegt! Er sagt: „Gott ist Geist“, folglich können die Gottesverehrer ihre Verehrung nur so ihm ange-messen erweisen, dass sie ihm ihr Herz weihen, nicht durch eidliche Ver-pflichtung, wie sie die Mönche einst forderten, sondern durch beständiges Wachstum in der Liebe, auf dass kein Falsch in ihr bleibe, nur Wahres und Gottähnliches aus ihr entspringe ... Wer so Gott sein Herz weiht, dass er nur an ihm hängt, nur Gott anerkennt, der betet ihn im Geiste an. Die so mit ihm Verbundenen reden auch mit dem Nächsten die Wahrheit; das heißt: in der Wahrheit anbeten, es sei denn, dass Du darunter lieber das wahrhaftige und treue Hängen an Gott verstehen willst, sodass Du nur Ihn als Gott, das heißt: als Helfer und Gatten gleichsam, anerkennst. Das Gebet ist also ein Reden mit Gott aus Glauben, wie mit dem Vater und allersichersten Helfer. Das Gebet ist eine Erhebung des Herzens zu Gott, nicht etwa des Atems oder der Stimme. Man betet, wenn das Herz zu Gott kommt, mit ihm redet, aus aufrichtigem Glauben Hülfe nur bei ihm sucht. Und wer könnte es Dir je als gutes Werk vorrechnen, dass er häufig zu Dir kommt, bald um Geld, bald um ein Kleid, um Speise, Rat, Hilfe zu bitten? Wenn nun unser Gebet zu Gott nur eine Bitte um Hülfe ist, warum schätzen wir es als verdienstliches Werk ein? Sofern es sich um ein Gebet, das heißt: um ein festes Vertrauen des Herzens handelt, liegt nur ein festes Ver-trauen Deines Herzens vor; wie kannst Du das einem anderen zu gute kommen lassen? Du kannst aus Glauben an Gott für einen anderen beten, ja, aber Du kannst nicht ein Stück von Deinem Glauben einem anderen geben. Der Glaube gehört nur dem Gläubigen selbst und ist kein Verdienst, obwohl Christus ihn in uneigentlichem Sinne ein Werk nennt – nur um derer willen, die noch an Werken hingen. Er nennt den Glauben ein Werk, um tatsächlich das Gegenteil zu sagen: „Werdet durch den Glauben selig, nicht durch Werke!“ Anbetung oder Gebet ist also nichts Anderes als feste Zuversicht auf Gottes Barmherzigkeit. Daraus folgt, dass Du in allen Lebenslagen zu ihr kommst und sie bittest. Kommst Du um des Nächsten willen, so kann es nur aus Liebe zum Nächsten oder aus Begierde nach seinem Geld geschehen. Kommst Du aus Liebe, so wird Dir Erhörung werden; denn dann liebst Du den Nächsten mit göttlicher Liebe. Kommst Du aus Gewinnsucht, so machst Du Gott gottlos, wie wenn er nicht für alle da wäre und die Person ansähe; oder täte er das nicht, wenn er Dein Gebet erhörte, das eines anderen aber verschmähte? Dann machst Du ihn auch zum Spießgesellen Deines Geizes; oder wäre er das nicht, wenn er dem anderen nur dann etwas gäbe, nachdem er Dir gegeben hat? So sind also jene Bitten um Belohnung eine Schmach, nicht eine Ehre Gottes ... Die Wahrheit kennt kein Gebet um Vorteils willen. Wenn wir Gott im Geiste wahrhaftig anhangen, so beten wir so, dass wir unerachtet alles Übels zu ihm allein eilen; und wir bitten um Abwendung des Leides nur mit den Worten: „Dein Wille geschehe!“ Mat. 6,10. Da gibt’s kein Gebet, keinen Psalm, keinen Gesang, keine Messe oder Vigilie um Lohn; denn was wir ohne Liebe tun, nützt nichts 1. Kor. 13,3. Wo man Geld nimmt, ist Gier, nicht Liebe die Wurzel der Handlung. Es ist Geplärr, wenn es heißt: wir nehmen Geld, nur, um leben zu können, und um zu beten, andere haben ja wegen der Arbeit keine Zeit zum Gebet, wir beten aus Liebe. Geht Ihr nur und bestellt den Acker, lasst in Eurem Neste diejenigen sich erholen, die bisher dank Eurem Müßiggang arbeiteten! Abwechselnd wollen wir ruhen und arbeiten; auch das ist Liebesgebot. Jetzt aber, wo Du die Kirche oder den Psalter nur um des Bauches willen anschaust, – Du würdest es sonst gewiss nicht tun – zugleich jedoch die Liebe vorschiebst, bist Du offenbar der schlimmste Heuchler. Die Liebe leidet mit, eilt herbei, hilft; Du tust nichts dergleichen, schätzest aber Nichtigkeiten über Alles. Willst Du beten oder Psalmen singen, so tue es umsonst. Hoffnung auf Belohnung verträgt sich nicht mit der Liebe; wir können nicht Gott und dem Mammon, das heißt: dem Reichtum, dienen Mat. 6,24. Mehr will ich nicht sagen. Ich glaube, alle, die von Religion etwas verstehen, wissen ohne Weiteres, dass Bitten und Gesänge um Lohn ebenso viel wert sind, als wenn Du für Geld für einen anderen eine sittliche Leistung versprächest. Man kann auch die Hand am Pflug beten, wenn man die Kraft des allmächtigen Gottes in der Erde selbst und im Samen bewundert und verehrt, dankbar für seine reiche Güte, auch ohne ein Wort zu sprechen. Das Herz betet. Wenn in der Vergangenheit die Christen anhaltend und gemeinsam beteten, so kann man das auch heute in der Kirche, wenn es nur ein Gebet, nicht ein sinnenkitzelndes Geplärr ist. Die sogenannten Kollekten, die öffentlichen Bittgebete, soll man deutsch, gemeinverständlich sprechen, sodass alle beten können, wie vorgesprochen wird. Doch möge jede Kirche ihren Brauch halten; eines schickt sich nicht für alle, nur muss Alles dem-selben Frömmigkeitsquell entspringen, alles Übrige ist in aller Ruhe abzu-schaffen ...