Besitz und Verantwortung

Besitz und Verantwortung

Was hat mein Eigentum mit Gott zu tun?  

Wo vom christlichen Glauben die Rede ist, da wird immer zuerst behandelt, was den Christen mit Gott verbindet. Denn in erster Linie ist der Glaube eine Beziehung zu Gott. Im zweiten Schritt wird dann erwähnt, dass aus diesem Glauben eine besondere Form der Mitmenschlichkeit erwächst. Neben die Liebe zu Gott tritt die Nächstenliebe. Und niemand wird sich darüber wundern. Wenn man aber noch einen dritten Schritt hinzufügt und behauptet, der Christ habe auch ein besonderes Verhältnis zu den Dingen dieser Welt, – dann leuchtet das nicht mehr jedem ein. Denn auf den ersten Blick ist nicht zu erkennen, wie der Glaube da einen Unterschied machen soll. Ein Ding ist schließlich ein Ding, sagen die Leute. Es ist, was es ist. Man hat es, oder hat es nicht. Wenn es aber schön und nützlich ist, dann ist es das für Christen und Nichtchristen gleichermaßen. Oder sollte z.B. der Gebrauchswert einer Kaffeemaschine eine weltanschauliche Frage sein? Wohl kaum. In diesem Bereich kommt es scheinbar gar nicht auf irgendeinen Glauben an, sondern nur darauf, dass man die Bedienungsanleitung versteht.

Und trotzdem: Ich behaupte dennoch, dass zwei Menschen, die das Gleiche haben, es auf ganz verschiedene Weise „haben“ können. Denn die Umstände, durch die eine Sache in unseren Besitz gelangt, können ihr besondere Bedeutung verleihen. Denken sie nur einmal an die vielen „Erbstücke“, die unsere Dachböden füllen! Manch einer hat da Dinge stehen, die er, wenn er sie auf der Straße fände, nicht einmal aufheben würde, die er aber dennoch über Jahrzehnte sorgfältig verwahrt, weil ein lieber Verstorbener sie ihm hinterlassen hat. Ein Außenstehender könnte diesen Dingen nicht ansehen, was sie bedeuten. Er würde sie zum Trödelhändler bringen. Aber der, der sie geerbt hat, „besitzt“ sie auf völlig andere Weise, als ein Trödelhändler sie jemals „besitzen“ könnte. Denn sobald der Erbe die alten Sachen in die Hand nimmt, ist ihm der Mensch gegenwärtig, von dem er sie bekam. Wenn ihm der Vorbesitzer lieb und teuer war, so kann das eine Quelle der Freude sein. Aber auch wenn es für den Erben eine Belastung ist, kann er doch nie davon absehen, dass die Dinge ihre Geschichte haben. Wenn er wegwerfen sollte, was der Verstorbene mit Leidenschaft und Mühe zusammengetragen hat, so würde er sich wie ein Verbrecher fühlen. Und wenn er in Versuchung käme, die Sachen einem Zweck zuzuführen, den der Verstorbene nicht gebilligt hätte, so brächte er es nur schwer über sich.

Denn die Dinge, die wir als Geschenk oder Erbe empfangen, sind mehr, als was sie „sind“. Sie repräsentieren ihren ehemaligen Besitzer auf so nachhaltige Weise, dass der Erbe mit ihnen nichts tun kann, ohne damit sein Verhältnis zum Erblasser neu zu bestimmen. Er kann sich natürlich befreien, indem er die Sachen verbrennt. Er kann versuchen, ihre Existenz auf dem Dachboden zu vergessen. Er kann sie weiterverschenken, damit vielleicht ein anderer sie in Ehren hält. Dass er aber mit jeder dieser Entscheidungen zugleich auch über seine Beziehung zu dem Verstorbenen entscheidet – das kann der Erbe nicht ändern. Denn der Geber bleibt auf seltsame Weise mit seiner Gabe verbunden. Er ist geradezu darin enthalten. Man hat sie nicht ohne ihn. Und auch die einfachsten Menschen besitzen dafür ein Gespür. Denn es kann sein, dass ein armer Schlucker, der 500,- Euro auf der Straße findet, sie direkt und ohne zu zögern ins nächste Bordell trägt. Wenn aber derselbe Mann 500,- Euro von seiner alten Mutter zugeschickt bekommt – die sie sich (wie er weiß) vom Munde abgespart hat –, so darf man annehmen, dass er sie im Sinne seiner Mutter zu einem ehrenwerteren Zweck gebrauchen wird.

Freilich: Wohin führen diese Überlegungen? Und was hat das alles mit dem Glauben zu tun? Der Zusammenhang ist leicht zu sehen. Denn der christliche Glaube schließt die Überzeugung ein, dass nichts auf dieser Welt ohne Herkunft ist. Die Dinge, die uns begegnen, sind weder Produkte des Zufalls noch sind sie herrenloses Strandgut, sondern sind allesamt aus Gottes Hand hervorgegangen. Der Asphalt unter meinen Füßen, der Stock in meiner Hand, das Geld in meiner Tasche und die Luft in meiner Lunge – ja, mein Körper selbst ist Gabe und Geschenk! Und es wäre seltsam, wenn das mein Verhältnis zu den Dingen nicht in besonderer Weise prägte. Denn wer glaubt, kann nichts auf die gleichgültige Weise besitzen, wie der Trödelhändler es besitzt. Er kann mit den Dingen nicht so frei hantieren, als hätte er sie auf der Straße gefunden. Und wozu er sie verwendet – das ist auch keineswegs beliebig. Denn sie alle sind mehr, als was sie im materiellen Sinne „sind“. Nichts ist Zufall. Alles ist Gabe. Und in jeder Gabe ist Gott als Geber präsent. Er hat uns mit tausend Dingen umgeben, die allesamt staunenswert sind. Und er schenkt uns obendrein den nötigen Verstand, um von jedem Ding einen segensreichen Gebrauch machen zu können. Ob wir das allerdings tun – ob wir die Dinge wirklich im Sinne ihres Schöpfers verwenden –, das ist eine Grundfrage christlicher Ethik.

Wir können sicher sein, dass unser Schöpfer das Eisen nicht ohne Absicht in die Erde gelegt hat. Doch ob wir daraus Schwerter oder Pflugscharen machen, das liegt in unserer Hand. Wir können versuchen, die Gaben Gottes im Sinne des Spenders zu verwenden. Oder wir können sie zweckentfremden. Wir können Gottes Intention folgen – oder können sie ignorieren. Dass wir aber in jeder derartigen Entscheidung zugleich auch über unsere Beziehung zu Gott entscheiden, das steht unabänderlich fest. Denn der, der uns mit Talenten, Fähigkeiten und materiellen Mitteln ausgestattet hat, sieht ja, was wir damit machen.

Es bleibt ihm nicht verborgen. Und es ist ihm auch nicht egal. Denn Gott weiß, dass ihn seine Gaben nicht immer mit den Begabten verbinden, sondern ihn manchmal von ihnen trennen. Ja, leider: Gerade da, wo Gott die Güter dieser Erde besonders großzügig austeilt, ist auch die Gefahr besonders groß. Denn Gott will zwar, dass wir mit den anvertrauten Schätzen wuchern, uns daran freuen und davon leben. Aber er will nicht, dass sie uns beherrschen. Er will, dass wir in der Welt leben. Aber er will nicht, dass wir ihr verfallen. Die Herrlichkeiten dieser Erde dürfen uns erfreuen. Aber sie dürfen uns nicht fesseln. Denn schließlich sollen sie uns mit Gott verbinden, statt uns von ihm zu trennen!

Unsere Beziehungen zu den Dingen dürfen darum nie in Konkurrenz zur Gottesbeziehung treten. Und als „weltliche“ Beziehungen dürfen sie auch nicht unverbunden neben der Gottesbeziehung stehen, sondern sie müssen dergestalt in die Gottesbeziehung integriert werden, dass im Umgang mit dem eigenen Körper, mit der Natur, dem Geld, den Freunden, der Familie, mit Schmerz und mit Lust, mit Gold und mit Dreck immer Gott das eigentliche Gegenüber bleibt. In jeder dieser Gaben ist der Geber so präsent, als ob er sie mir gerade persönlich überreichen würde.

Das aber zu wissen und entsprechend zu leben, gehört zu unserem Glauben unbedingt dazu. Der Glaube „hat“ nichts auf unmittelbare Weise, sondern alles in der Vermittlung durch Gottes Hand, so dass er gar nichts ohne Gott, sondern alles mit ihm und durch ihn „besitzt“. Eine schöne Singstimme zu haben, ist daher für den Gläubigen ein Nebenaspekt seiner Gottesbeziehung. Und wenn er eine Motorradtour genießen darf, erfährt er dabei nichts anderes als Gottes Freundlichkeit. Das Geld, das er hat, sinnvoll einzusetzen, ist eine Verpflichtung, der er vor Gottes Angesicht nachkommt. Und wenn ihm sein Bein höllische Schmerzen bereitet, so ist auch das eine Art, mit Gott und seinem Willen in Beziehung zu stehen.

Will man das Gesagte in einem Bild zusammenfassen, so kann man ans Erntedankfest denken und an den mit Erntegaben geschmückten Altar. Denn der alte Brauch, die Dinge, von denen wir leben, vor den Altar zu bringen, Gott dafür zu danken und erst dann von ihnen Gebrauch zu machen, veranschaulicht sehr genau, worum es hier geht. Sobald ich nämlich die Dinge des täglichen Bedarfs am Altar abgegeben und vom Altar her wiederempfangen habe, sind sie ein Teil meiner Gottesbeziehung geworden. Indem ich mit meinem Besitz den „Umweg“ über die Kirche mache, bekenne ich mich dazu, diesen Besitz nicht auf unmittelbare, sondern auf mittelbare Weise zu „haben“. Und habe ich dann alles aus Gottes Hand, werde ich auch nicht mehr willkürlich darüber verfügen, sondern werde stets bedenken, dass es eine Leihgabe ist, für deren Verwendung ich dem Geber Rechenschaft schulde.

Dass das immer leicht wäre, will ich nicht behaupten. Denn wenn wir etwas am Altar „abgeben“, müssen wir uns innerlich davon trennen. Doch was vom Altar in unsere Hände „zurückkehrt“, ist dafür „mehr“ als es vorher war: Es ist dann ein Bestandteil unserer Gottesbeziehung geworden und ist ein sichtbares Band, das uns mit Gott verbindet. Denken wir also ruhig einmal an all die Dinge, die uns lieb sind! Denken wir an unseren Lieblingssessel zu Hause und an das Auto vor der Tür. Betrachten wir die Brille, die uns hilft, und den Kaffee, der uns schmeckt. Schauen wir auf den Hund und auf die bequemen Schuhe, auf den Baum vorm Fenster und auf die guten Bücher im Regal – und sagen wir zu jedem Stück: „Das hat mir Gott gegeben und gegönnt.“

Schauen wir das Inventar unseres Lebens einmal durch und machen wir uns klar, dass jedes Stück von Gott her kommt – mit schönen Grüßen! – und jedes Stück von seiner Fürsorge erzählt. Denn wenn wir das tun, werden wir nicht nur viel dankbarer und zufriedener leben, sondern auch bewusster und verantwortlicher. Weil Ignatius von Loyola das aber schon vor 450 Jahren wusste, will ich mit seinen Worten schließen:

„Der Mensch ist geschaffen dazu hin, Gott unseren Herrn zu loben, ihm Ehrfurcht zu erweisen und zu dienen ... Die andern Dinge auf der Oberfläche der Erde sind zum Menschen hin geschaffen, und zwar damit sie ihm bei der Verfolgung dieses Zieles helfen, ... Hieraus folgt, dass der Mensch die Dinge so weit zu gebrauchen hat, als sie ihm auf sein Ziel hin helfen, und sie so weit lassen muss, als sie ihn daran hindern...“

 

 

 

 

 

Bild am Seitenanfang: Der Goldwäger und seine Frau

Quentin Massys, Public domain, via Wikimedia Commons