Denn dein ist das Reich und die Kraft...

Denn dein ist das Reich und die Kraft...

Das Vaterunser besteht im Wesentlichen aus sieben Bitten. Aber es endet nicht mit einer Bitte. Sondern es kommt da noch etwas hinterher, das ein bisschen wie eine Verzierung wirkt oder wie die höfliche Floskel am Schluss eines Briefes. Wir beenden das Gebet mit „dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“. Und erst dann sagen wir „Amen“. Doch wozu ist dieser Schnörkel gut, der doch Gott wahrlich nichts Neues mitteilen kann? Gott weiß, dass es „sein Reich“ ist, das da kommt, und „seine Kraft“, die es herbeiführt. Es wird natürlich von „seiner Herrlichkeit“ erfüllt sein. Und daran wird sich auch „in Ewigkeit“ nichts mehr ändern. Aber wozu wird das gesagt? Es ist dieselbe Frage, die sich immer stellt, wenn es um das Lob Gottes geht. Denn anders als bei Bitten, Fürbitten und Klagen weiß man nicht gleich, worauf es hinauslaufen soll. Die Bitte zielt auf Erhörung. Die Klage hofft zumindest auf Trost. Und der Dank ist eine selbstverständliche Pflicht. Aber das Gotteslob? Man fragt sich, wozu das Loben eigentlich gut ist, welchem Zweck es dient, und wer etwas davon hat. Nun, wenn wir das Lob betrachten, das ein Mensch dem anderen spendet, fällt die Antwort leichter. Denn in der Erziehung dient das Lob der Anerkennung und Verstärkung eines erwünschten Verhaltens. Es ist ein Schulterklopfen, das zur Wiederholung anspornt. Und wenn die lobende Erwähnung ausbleibt, obwohl das Kind sie verdient, ist es zurecht verärgert und demotiviert. Darum ist es klug, Wohlverhalten angemessen zu würdigen. Da wir aber Gott nicht zu erziehen haben, kann dies nicht der Sinn des Gotteslobes sein. Wenn‘s aber das nicht ist – geht‘s dann vielleicht darum, sich bei Gott beliebt zu machen? Wenn Menschen andere Menschen loben, ist ja oft dieser Hintergedanke dabei! Wer lobt, macht sich den Gelobten zum Freund. Er schmeichelt ihm und darf darauf rechnen, dass solche Freundlichkeit erwidert wird. Man schmiert dem Gelobten Honig ums Maul und appelliert an seine Eitelkeit. Weil Menschen dafür empfänglich sind, kommt das wohl nie aus der Mode! Aber auch diese Funktion kann das Lob Gottes schwerlich haben. Denn Gott ist nicht eitel und nicht bestechlich und durchschaut natürlich unsere Finten. Es ist weder möglich noch nötig, sich durch Lobreden bei Gott einzuschleimen. Wenn es also auch darum nicht geht – worum dann? Nun, ich will die Antwort nicht schuldig bleiben. Ich meine, wir loben Gott einfach deshalb, weil wir dabei die ihm gegenüber angemessene Haltung einnehmen und dadurch mit ihm in ein stimmiges, sachgemäßes und natürliches Verhältnis kommen. Denn Loben ist ja auch das, was die Engel tun. Es ist das, was jeder ganz von selbst tut, wenn er Gottes Herrlichkeit erkennt. Es ist sozusagen die natürliche Haltung derer, denen die Augen aufgegangen sind. Lob ist der spontane Reflex aller, die mit Gott so im Reinen sind, dass sie eben nicht mehr sich selbst oder einem irdischen Idol, sondern nur noch Gott die Ehre geben. Und insofern ist das Gotteslob eine Vorwegnahme himmlischer Herrlichkeit. Ja, es ist auch unter irdischen Bedingungen eine himmlische Tätigkeit, die einst einmünden wird in die Ewigkeit, um sich dort ohne Ende fortzusetzen. Denn alles andere wird aufhören. Das Zweifeln an Gott und das Hadern mit Gott werden aufhören. Die Gleichgültigkeit und die geistliche Trägheit werden aufhören. Und selbst der Glaube wird im Himmel aufhören, um ins Schauen überzugehen. Die Hoffnung wird aufhören, denn sie wird sich dort erfüllt haben. Das Klagen und Bitten wird aufhören, denn in der Seligkeit wird‘s dazu keinen Anlass mehr geben. Und auch das Nachdenken über Gottes Wort wird enden, wenn wir ein für allemal alles Nötige verstanden haben. Alles, was durch unsere heutige Blindheit bedingt ist, wird enden! Das Lob Gottes aber endet nicht. Es hört nicht auf und wird in Ewigkeit nie überflüssig, weil ja die Barmherzigkeit Gottes, die uns zum Loben Anlass gibt, auch niemals endet! Und so hat das scheinbar nutzlose Lob Gottes dann doch ein großes Ziel – dass es nämlich für einen Moment schon hier auf Erden die Ordnung herstellt, die im Himmel gelten wird, und ein Stück von dem dankbaren Jubel, der dort ewig erklingt, auf unserer alten Erde vorwegnimmt. Wir stimmen ein in den Lobgesang der Engel. Denn dem Glauben steht vor Augen, was Gott schon früher für uns getan hat, was er gegenwärtig tut – und künftig noch tun wird. Und dass es uns da zum Jubel treibt, das ist so unausweichlich wie der Applaus nach einem tollen Konzert, den man ja auch nicht unterdrücken kann. Wenn’s wirklich großartig war, hält es das Publikum auch nicht auf den Plätzen, sondern die Menschen stehen auf, klatschen und schreien, johlen und jubeln! Wenn aber einer dazukäme und fragte „Wozu applaudiert ihr? Was bringt euch das? Warum geht ihr am Ende des Konzerts nicht still auseinander?“ – so würde man ihn verständnislos ansehen. Denn nichts wäre unnatürlicher, als bei einem begeisternden Konzert keine Begeisterung zu zeigen. Die Freude will raus, die Zustimmung will sich äußern! Nur so entsprechen wir dem, was wir auf der Bühne gehört und gesehen haben! Und genau so entspricht auch der Betende durch sein Lobpreis dem lobwürdigen Gott, dem er sich gegenübersieht! Er hört eine Musik, die ihn mitreißt, und da er nicht taub ist, muss er auch die Füße bewegen. Einer Erklärung aber bedarf nicht diese euphorische Reaktion, sondern erklärungsbedürftig wär‘s nur, wenn sie ausbliebe. Haben wir also im Vaterunser mit dem gesprochen, der uns nährt und heilt, uns bewahrt und segnet – und sogar verspricht, damit fortzufahren bis sein Reich kommt, in dem wir dann endgültig teilhaben dürfen an seiner Herrlichkeit: Wie sollten wir dem nicht frenetischen Beifall spenden, „Halleluja“, „Hosianna“ und „Amen“ rufen? Es ist der natürliche Ausgang einer Begegnung mit dem gütigen Gott. Und wenn uns dieses Gotteslob am Ende des Vaterunsers nicht flüssig von den Lippen geht, dann stimmt etwas nicht. Denn es ist völlig normal, wenn Kinder bekümmert und traurig zu ihrem Vater kommen. Doch wenn sie wieder gehen, dann sollten sie nicht mehr bedrückt, sondern getröstet, munter und mutig sein! Denn schließlich kann der Vater alles kompensieren, was uns fehlt, und alles bewirken, was uns zu schwer ist! Das Reich, das wir ersehenen, ist nicht unser, sondern „sein Reich“. Und es wird garantiert nicht ausbleiben, weil „sein“ auch die „Kraft“ ist! Mit dem Reich kommt aber zu uns Gottes „Herrlichkeit“. Und weil sie uns keiner mehr nehmen kann, wird sie bleiben in „Ewigkeit“! So fasst der Schluss des Vaterunsers nochmal alle denkbaren Trostgründe in froher Erwartung zusammen. Und wenn wir unser ganz persönliches „Amen“ dahinter setzen, wie ein dickes, fettes Ausrufungszeichen, dann heißt das: „Ja, Herr, so ist es und so kommt es, darauf wag ich’s und dabei bleib ich, darauf setz ich und darauf trau ich und verwette meinen Kopf, dass Gott nicht lügt, sondern mir treu sein wird. Amen, ja! Das soll mein Standpunkt sein und bleiben. Amen, ja! Darauf lebe und sterbe ich.“ Dieses „Amen“ ist wie die Unterschrift unter einem Dokument – und genau wie durch die Unterschrift mache ich mir mit dem „Amen“ nochmal alles Gesagte zu Eigen. Da ist das Vaterunser kein Sprüchlein mehr, das ich bloß hergesagt habe, weil man das so tut, sondern es ist mein Bekenntnis! Und durch das Amen wird nochmal festgestellt, dass ich dieses „Statement“ auch so meine. Wie ich Gott beim Wort nehme, darf auch Gott mich beim Wort nehmen. Und wie ich ihn bei seinen Verheißungen behafte, darf er auch umgekehrt mein Gebet ernst nehmen. Darum hängt durchaus etwas dran, dass unser „Amen“ von Herzen kommt! Und wenn’s das nicht tut, sollten wir mit dem Vaterunser lieber noch einmal von vorne anfangen.

 

 

 

 

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Akseli Gallen-Kallela, Public domain, via Wikimedia Commons