Der Herr hat‘s gegeben, der Herr hat‘s genommen,

der Name des Herrn sei gelobt.

 

Da stand Hiob auf und zerriß sein Gewand und schor sein Haupt und warf sich auf die Erde und betete an und sprach: Ich bin nackend von meiner Mutter Leib gekommen und nackend werde ich wieder dahinfahren; der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobt! – Hiob 1,20-21.

 

Nicht bloß den nennen wir einen Lehrer der Menschen, der eine Wahrheit durch besonders glückliche Begünstigung entdeckte, oder durch unermüdlichen Fleiß mit durchgreifender Ausdauer ergründete, und das Erworbene als eine Lehre hinterließ, welche die folgenden Geschlechter zu verstehen und in diesem Verständnis sich anzueignen suchen; sondern auch den nennen wir, und vielleicht in noch strengerem Sinn, einen Lehrer der Menschheit, der keine Lehre Andern zu übergeben hatte, aber sich selbst dem Geschlecht als ein Vorbild hinterließ, sein Leben als einen Wegweiser für jeden Menschen, seinen Namen als eine Bürgschaft für Viele, sein Werk als eine Aufmunterung für die Ver-suchten. Ein solcher Lehrer und Führer der Menschheit ist Hiob, dessen Bedeu-tung keineswegs in dem liegt, was er gesagt hat, sondern in dem, was er getan hat. Wohl hat er eine 

2

Aussage hinterlassen, die durch ihre Kürze und Schönheit zum Sprichwort wurde, von Geschlecht zu Geschlecht aufbewahrt, der auch Niemand vermessen Etwas hinzugefügt oder hinweggenommen hat: aber die Aussage selbst ist nicht das Wegweisende und Hiobs Bedeutung liegt nicht darin, daß er dies sagte, sondern darin, daß er dem nachkam im Werk. Das Wort selbst ist wohl schön und wert erwogen zu werden, aber hätte es ein Anderer gesagt, oder wäre Hiob ein Anderer gewesen, oder hätte er es bei einer andern Gelegenheit gesagt, so wäre das Wort selbst ein anderes geworden, bedeutungsvoll, insofern es für sich Bedeutung hat, aber es hätte seine Bedeutung nicht davon, daß er handelte, indem er es aussprach, so daß die Aussage selbst eine Handlung war. Wenn Hiob sein ganzes Leben darauf verwendet hätte, dies Wort einzuschärfen, wenn er es als die Summe und Fülle dessen betrachtet hätte, was sich ein Mensch vom Leben muß lehren lassen, wenn er es beständig nur gelehrt hätte, aber niemals es selbst erprobt, niemals selbst gehandelt hätte, während er es aussagte, dann wäre Hiob ein anderer, seine Bedeutung eine andere. Da würde Hiobs Name vergessen sein, oder es würde doch gleichgültig sein, ob man ihn wüßte, die Hauptsache wäre der Inhalt des Wortes, die Gedankenfülle, die darin läge. Wenn das Geschlecht das Wort angenommen hätte, dann übergäbe es ein Geschlecht dem andern, während nun dagegen Hiob selbst das Geschlecht begleitet. Wenn das eine Geschlecht ausgedient hat, sein Werk vollbracht hat, seinen Streit ausgekämpft hat, da hat es Hiob begleitet; wenn das neue Ge-schlecht mit seinen unübersehbaren Reihen und jedem Einzelnen in diesen auf seinem Platze fertig dasteht,

3

die Wanderung zu beginnen, da ist Hiob wieder zur Stelle, er nimmt seinen Platz ein, welcher der Außenposten der Menschheit ist. Sieht das Geschlecht nur frohe Tage in glücklichen Zeiten, da folgt Hiob treulich mit, und wenn der Einzelne doch in Gedanken das Fürchterliche erlebt und geängstet wird durch die Vorstellung, wie viel Schrecken und Not das Leben bringen kann und daß keiner weiß, wenn die Stunde der Verzweiflung für ihn schlägt, – da wendet sich sein bekümmerter Gedanke hin zu Hiob, weilt bei ihm und wird beruhigt von ihm; denn er folgt treulich mit, und tröstet zwar nicht so, als hätte er ein für alle Mal gelitten, was seitdem nie wieder erlitten werden sollte, aber er tröstet als einer, der bezeugt, daß das Fürchterliche erlitten ist, daß das Schreckliche erlebt ist, daß der Kampf der Verzweiflung gestritten ist, Gott zur Ehre, ihm zur Rettung, Andern zu Gewinn und Freude. In frohen Tagen, in glücklichen Zeiten geht Hiob dem Geschlecht zur Seite und bestärkt es in seiner Freude, er bekämpft den angstvollen Traum, daß ein plötzliches Schrecknis den Menschen überfallen und seine Seele als eine sichere Beute morden könnte. Nur der Leichtsinnige könnte wünschen, daß Hiob nicht mit wäre, damit sein ehrwürdiger Name ihn nicht an das erinnere, was er zu vergessen sucht, daß Schrecken und Angst im Leben da ist; nur der Selbst-süchtige könnte wünschen, daß Hiob nicht dabei wäre, damit der Gedanke an seine Leiden nicht mit so strengem Ernst ihm seine gebrechliche Freude störe, und ihn aus seiner in Verhärtung und Verlorenheit berauschten Sicherheit herausschrecke. In sturmvollen Zeiten, wenn die Grundfesten des Daseins wackeln, wenn der Augenblick in angstvoller Er-

4

wartung zittert vor dem, was kommen soll, wenn jede Erklärung verstummt beim Anblick des wilden Aufruhrs, wenn des Menschen Innerstes in Verzweiflung jammert und „in Bitterkeit der Seele“ zum Himmel schreit, da geht Hiob noch an der Seite des Geschlechtes und bürgt dafür, daß es einen Sieg gibt, bürgt dafür, daß ob auch der Einzelne im Streit verliert, doch ein Gott da ist, der, wie er jede Versuchung menschlich macht, so auch, selbst wenn ein Mensch in der Ver-suchung nicht bestünde, ihren Ausgang so machen wird, daß wir es können ertragen, ja herrlicher als irgend welche menschliche Erwartung. Nur der Trotzige könnte wünschen, daß Hiob nicht dabei wäre, damit er seine Seele ganz von der letzten Liebe losmachen könnte, die doch noch im Klageschrei der Verzweiflung zurückblieb, damit er so klagen, ja das Leben so verfluchen könnte, daß auch gar kein Ton von Glaube und Vertrauen und Demut in seinen Worten mitklänge, daß er in seinem Trotz den Schrei so quälen könnte, daß es nicht scheinen dürfte, als wäre da Jemand, den er herausforderte. Nur der Weichliche könnte wünschen, daß Hiob nicht dabei wäre, damit er je eher je lieber jeden Gedanken fahren lassen, jede Bewegung in kläglicher Ohnmacht aufgeben, sich selbst in elen-dester und jämmerlichster Vergessenheit auslöschen könnte.

Das Wort, das wenn es genannt wird, sofort an Hiob erinnert, das Wort, das wenn Hiobs Name genannt wird, sofort lebendig und gegenwärtig wird in Jedes Gedanken, ist ein schlichtes und einfältiges Wort, es birgt in sich keine geheime Weisheit, die von den Tiefsinnigen erforscht werden müßte. Wenn das Kind dies Wort lernt, wenn es ihm übergeben wird als eine Mitgift, deren Gebrauch es nicht

5

faßt, da versteht es das Wort, es versteht wesentlich dasselbe dabei, wie der Weiseste. Doch versteht das Kind es nicht, oder richtiger, es versteht Hiob nicht. Denn was es nicht faßt, das ist all die Not und Elendigkeit, in welcher Hiob geprüft wurde. Davon kann das Kind nur eine dunkle Ahnung haben; und doch wohl dem Kinde! welches das Wort verstand, und von dem, was es nicht verstand, den Eindruck bekam, daß es das Fürchterlichste von Allem war, und ehe Sorge und Widerwärtigkeit seine Gedanken verschlagen machten, die überzeugte und kindlich lebendige Gewißheit besaß, daß es in Wahrheit das Fürchterlichste war. Wenn der Jüngling seine Gedanken zu diesem Wort hinwendet, da versteht er es, und versteht wesentlich dasselbe dabei, wie das Kind und wie der Weiseste. Doch versteht er es vielleicht nicht, oder richtiger, er versteht Hiob nicht, nicht woher all die Not und die Elendigkeit kommen sollte, in der Hiob versucht wurde; und doch wohl dem Jüngling! der das Wort verstand und sich demütig unter das beugte, was er nicht verstand, ehe Drangsal seine Gedanken eigenwillig machte, als entdeckte er, was Keiner vor ihm gekannt habe. Wenn der Ältere das Wort erwägt, da versteht er es und versteht wesent-lich dasselbe dabei, wie das Kind und der Weiseste. Er versteht auch die Not und den Kummer in welchem Hiob geprüft wurde und doch versteht er vielleicht Hiob nicht, denn er kann nicht verstehen, wie Hiob im Stande war, das zu sagen; und doch, wohl dem Mann! der das Wort verstand und bewundernd festhielt, was er nicht verstand, ehe Kummer und Not ihn auch gegen Hiob mißtrauisch machten. Wenn der Geprüfte, der den guten Streit stritt, indem er des Wortes gedachte, es nennt, da

6

versteht er das Wort und versteht wesentlich dasselbe dabei, wie das Kind und wie der Weiseste, er versteht Hiobs Elend, er versteht, wie Hiob es sagen konnte. – Er versteht das Wort, er erklärt es, ob er auch niemals darüber spräche, herr-licher als der, der ein ganzes Leben brauchte, um allein dieses Wort zu erklären.

Nur der Versuchte, der das Wort erprobte, indem er selbst geprüft wurde, nur er erklärt das Wort richtig, nur einen solchen Schüler, nur einen solchen Erklärer wünscht Hiob, nur er lernt von ihm, was zu lernen ist, das Schönste und das Seligste, im Vergleich womit alle andre Kunst oder Wissenschaft sehr unwesent-lich ist. Deshalb nennen wir Hiob recht eigentlich einen Lehrer der Menschheit, nicht einzelner Menschen, weil er sich Jedem als sein Vorbild darstellt, Jedem mit seinem herrlichen Beispiel winkt, Jedem mit seinem schönen Worte ruft. Während wohl zuweilen der Einfältigere, der minder Begabte, oder der von Zeit und Umständen minder Begünstigte, wenn nicht in Mißgunst, so doch in be-kümmertem Mißmut Gabe und Gelegenheit wünscht, um fassen zu können und sich vertiefen zu können in das, was die Weisen und Gelehrten der verschie-denen Zeiten ergründet haben, und in seiner Seele ein Verlangen fühlt, auch selbst Andere belehren zu können und nicht bloß immer Belehrung nehmen zu müssen, da versucht ihn Hiob so nicht. Was sollte auch hier menschliche Weisheit helfen? sollte sie vielleicht suchen das verständlicher zu machen, was der Einfältigste und das Kind leicht versteht und ebenso gut versteht wie der Weiseste! Was sollte die Kunst der Beredsamkeit und die Macht des Wortes hier helfen; sollte sie im Stande sein in dem

7

Redenden oder in einem andern Menschen hervorzubringen, was der Einfältigste ebenso gut vermag, wie der Weiseste – die Handlung! Sollte nicht eher die menschliche Weisheit Alles schwieriger machen, sollte die Kunst der Bered-samkeit, welche doch in all ihrer Herrlichkeit niemals vermag auf einmal das Verschiedene auszusagen, das auf einmal in des Menschen Herzen wohnt, nicht eher die Kraft der Tat betäuben und sie in weitläufiger Erwägung einschlummern lassen! Aber ob dies nun auch feststeht und in Folge davon der Besonnene zu vermeiden sucht, daß seine Worte sich verstörend eindrängen zwischen den Einzelnen und das schöne Vorbild, welches jedem Menschen gleich nahe ist; auch darauf achtet, daß er sich nicht selbst in den prächtigen Worten mensch-licher Überredung fange, welche sehr unfruchtbar sind: so folgt doch keineswegs, daß Erwägung und Untersuchung nicht ihre Bedeutung haben sollten. Wenn einer das Wort früher nicht kannte, da wäre es ihm ja stets gewinnreich, daß er es kennen lernte; wenn er das Wort wohl kannte, aber keine Veranlassung im Leben gehabt hätte, es zu erproben, dann wäre es ihm ja gewinnreich, falls er verstehen lernte, was er vielleicht einst noch gebrauchen wird; wenn er es erprobt hätte, aber das Wort im Stich ließ, ob er gleich meinte, daß das Wort ihn im Stich gelassen hätte, da wäre es ja gewinnreich, wenn er es noch einmal erwägt, ehe er in der Unruhe des Streites und der Hast des Kampfes wieder von dem Worte weicht. Vielleicht würde da einmal die Erwägung für ihn Bedeutung bekommen, es würde vielleicht geschehen, daß die Erwägung in seiner Seele lebendig und gegenwärtig würde, grade wenn er sie brauchte, um die verwirrten Gedanken

8

des unruhigen Herzens zu durchdringen; es würde vielleicht geschehen, daß was die Erwägung stückweis verstand, sich auf einmal sammelte wiedergeboren im Augenblick der Entscheidung, daß was die Erwägung in Vergänglichkeit säete, am Tage der Not aufersteht in unvergänglichem Leben des Werkes. So wollen wir denn versuchen Hiob näher zu verstehen in seinem schönen Wort: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt.

In einem Lande gegen Osten lebte ein Mann, des Name war Hiob; er besaß den Segen des Landes, zahlreiche Herden und fruchtbare Gefilde, „sein Wort erhob die Gefallenen und gab den bebenden Knien Kraft“, in seinem Zelt war selig Wohnen wie in des Himmels Schoß und in diesem Zelt wohnte er mit sieben Söhnen und drei Töchtern, und bei ihm in diesem Zelt „wohnte das Vertrauen des Herrn“. Und Hiob war ein alter Mann, seine Freude im Leben war die Freude der Kinder, über welche er wachte, daß sie ihnen nicht zum Verderben würde. Da saß er eines Tages allein bei seinem Herde, während seine Kinder versammelt waren im Hause des erstgeborenen Bruders zum Freudenmahl. Und als er für Jedes besonders geopfert hatte, da neigte er auch sein Herz zur Freude durch den Gedanken an die Freude der Kinder. Wie er da saß im stillen Frieden der Freude, da kam ein Bote, und ehe er ausgeredet, kam ein anderer Bote und während der noch redete, kam der dritte Bote, aber die vierte Botschaft kam von seinen Söhnen und Töchtern, daß das Haus eingestürzt war und sie Alle begra-ben hatte.

9

“Da stand Hiob auf und zerriß sein Gewand und schor sein Haupt und fiel auf die Erde und betete.“ Seine Trauer brauchte nicht viele Worte, oder richtiger er sagte auch nicht ein einziges, nur sein Aussehn bezeugte, daß sein Herz zerschlagen war. Könntest Du es anders wünschen! Oder hätte der, der seine Ehre darein setzt, am Tage der Trauer nicht trauern zu können, nicht seine Schande darin, daß er sich auch nicht freuen kann am Tage der Freude? Oder ist der Anblick einer solchen Unveränderlichkeit nicht unlustig und unerquicklich, ja empörend, wenn es auch erschütternd ist, den ehrwürdigen Greis, der eben dasaß, die Freude des Herrn im väterlichen Angesicht, nun zu sehen hingeworfen zur Erde, mit zerrissenem Gewand und geschorenem Haupt! Da er nun so ohne Verzweif-lung mit menschlichem Gefühl der Trauer sich hingegeben, da war er hurtig zwischen Gott und sich zu richten und sein Urteilsspruch ist: „Nackend kam ich von meiner Mutter Leib, nackend werde ich wieder hinfahren.“ Hiermit war der Streit entschieden und jede Forderung, die etwas vom Herrn fordern wollte, was er nicht geben will, oder Etwas festzuhalten begehrt, als ob es nicht Empfange-nes wäre, ist zum Schweigen gebracht. Dann folgt das Bekenntnis des Mannes, den nicht die Trauer allein zur Erde geworfen hatte, sondern auch die Anbetung: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt.“

Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Was hier zuerst die Erwägung zum Stillstand bringt, ist, daß Hiob sagte: „Der Herr hat’s gegeben.“ Paßt denn dies Wort zur Veranlassung, enthält es nicht etwas Anderes als was in der Begebenheit selbst lag? Wenn ein Mann

10

in einem Augenblick Alles verlor, was ihm lieb war, und das Liebste von Allem verlor, da wird der Verlust ihn vielleicht so überwältigen, daß es ihn auch nicht tröstet dies auszusprechen, wenn er sich auch im Innersten mit Gott bewußt bleibt, daß er Alles verlor. Oder er wird vielleicht den Verlust nicht mit seinem zermalmenden Gewicht auf der Seele lasten lassen, sondern wird ihn gleichsam von sich entfernen und mit bewegtem Herzen sagen: „Der Herr hat’s genommen.“ Und auch dies ist wohl wert zu preisen und zu erstreben, so dem Herren zu Füßen zu fallen im Schweigen und in Demut; auch ein solcher rettet seine Seele im Streit, ob er auch alle Freude verlor. Aber Hiob! In dem Augenblick da der Herr Alles nahm, sagte er nicht zuerst: Der Herr hat’s genommen, sondern er sagte zuerst: Der Herr hat’s gegeben. Das Wort ist kurz, aber es bezeichnet in seiner Kürze vollständig, was es bezeichnen soll, daß Hiob’s Seele nicht zusammen-gepreßt wurde in stummer Unterwerfung der Trauer, sondern daß sein Herz sich zuerst erweiterte in Dankbarkeit, daß der Verlust von Allem ihn zunächst dankbar machte gegen den Herrn, daß er ihm all den Segen gegeben hatte, welchen er nun von ihm nahm. Es ging ihm nicht wie es Joseph von den sieben mageren Jahren voraussagte, daß aller Überfluß der sieben fruchtbaren Jahre darin gänzlich vergessen wurde. Seine Dankbarkeit war wohl eine andere als in jener nun gleichsam längst entschwundenen Zeit, da er alle gute und alle vollkommene Gabe aus Gottes Hand mit Dankbarkeit empfing; aber doch war seine Dankbar-keit aufrichtig, wie es die Vorstellung von der Güte des Herrn war, die nun in seiner Seele lebendig wurde. Nun erinnerte er sich an

11

Alles, was der Herr gegeben hatte, an Einzelnes vielleicht mit noch größerer Dankbarkeit, als da er es empfing, es war ihm nicht minder schön geworden, weil es fort war, auch nicht schöner, sondern noch so schön wie damals, schön, weil der Herr es gegeben, und was ihm nun noch schöner erscheinen konnte, war nicht die Gabe, sondern die Güte des Herrn. Er erinnerte sich an den reichen Wohlstand, sein Auge ruhte noch einmal auf den fruchtbaren Gefilden und folgte den zahlreichen Herden, er erinnerte sich, welche Freude es ist, sieben Söhne und drei Töchter zu haben; nun bedurfte es keines Opfers als der Dankbarkeit dafür, daß er sie gehabt hatte. Er erinnerte sich an die, welche vielleicht an ihn noch mit Danksagung gedachten, an die Vielen, die er unterwiesen hatte, „deren müde Hände er gestärkt, deren bebende Knie er aufgerichtet hatte“. Er erinnerte sich an die Tage seiner Herrlichkeit, da er mächtig und angesehen im Volke war, „da die Jünglinge in Ehrerbietung vor ihm sich verbargen, da die Greise sich erhoben und stehen blieben“. Er erinnerte sich mit Dankbarkeit, daß sein Schritt nicht abgewichen war vom Wege der Gerechtigkeit, daß er den Armen, welcher klagte, errettet hatte, und den Vaterlosen, der keinen Helfer hatte, und noch in diesem Augenblick war daher „der Segen der Verlassenen über ihm“ wie damals. Der Herr hat’s gegeben, das ist ein kurzes Wort, aber für Hiob bezeichnete es so sehr Vieles, denn Hiob’s Gedächtnis war nicht so kurz, und seine Dankbarkeit nicht vergeßlich. Da ruhete die Dankbarkeit in seiner Seele mit ihrer stillen Weh-mut, er nahm einen milden und freundlichen Abschied von dem Allen zusammen und in diesem Abschied verschwand Alles wie eine 

12

schöne Erinnerung, ja es schien, als wäre es nicht der Herr, der es nahm, son-dern Hiob, der es ihm zurückgab. Indem daher Hiob gesagt hatte, der Herr hat’s gegeben, da war sein Sinn wohl vorbereitet, Gott zu danken auch bei dem nächsten Wort: Der Herr hat’s genommen.

Vielleicht war einer, der sich auch am Tage der Trauer erinnerte, daß er frohe Tage gesehen; da wurde seine Seele noch ungeduldiger. „Hätte er niemals die Freude gekannt, da würde der Schmerz ihn nicht überwunden haben, denn was ist doch der Schmerz anders als eine Vorstellung, die der nicht hat, welcher Anderes nicht kennt; aber nun hatte die Freude ihn ja gerade gebildet und entwickelt, um Schmerz zu verstehen.“ Da blieb die Freude bei ihm zu seinem eignen Verderben, sie war niemals verloren, sondern nur vermißt, und versuchte ihn in dem Begehren mehr als jemals. Was seiner Augen Lust gewesen war, das begehrte das Auge wieder, und die Undankbarkeit strafte ihn, indem sie es schöner vorspiegelte, als es jemals gewesen; woran seine Seele sich erfreut hatte, darnach dürstete sie nun, und die Undankbarkeit strafte ihn, indem sie es noch lustiger ausmalte, als es jemals gewesen; was er einmal vermocht hatte, das wollte er nun wieder vermögen, und die Undankbarkeit strafte mit Traum-bildern, welche niemals Wahrheit gehabt hatten. Da verurteilte er seine Seele dazu, lebend ausgehungert zu werden in dem nie zu erfüllenden Sehnen des Begehrens. – Oder es erwachte eine verzehrende Leidenschaft in seiner Seele, daß er die frohen Tage nicht auf die rechte Weise genossen, nicht alle Süße aus ihrem wollüstigen Überfluß gesogen habe. Wäre ihm nur noch eine flüchtige Stunde vergönnt, dürfte er nur

13

seine Herrlichkeit auf kurze Zeit wiederhaben, daß er sich an der Freude sättigen und damit Gleichgültigkeit gegen den Schmerz gewinnen könnte. Da gab er seine Seele einer brennenden Unruhe hin, er wollte sich selbst nicht einge-stehen, ob der Genuß, den er begehrte, eines Menschen würdig wäre, ob er nicht eher Gott dafür danken müßte, daß seine Seele in der Zeit der Freude nicht so wild war, wie sie es nun geworden war; er wollte nicht erschrecken bei dem Gedanken, daß sein Begehren der Weg zur Verlorenheit war; er wollte sich nicht darüber bekümmern, daß elender als all sein Elend der Wurm der Begierde in seiner Seele war, der nicht sterben wollte. – Vielleicht war da Einer, der auch im Augenblick des Verlustes sich erinnerte an das was er besessen hatte, aber er vermaß sich es verhindern zu wollen, daß der Verlust ihm verständlich werde. War es auch verloren, sein trotziger Wille sollte doch vermögen es bei sich zu behalten, als wäre es nicht verloren. Er wollte nicht streben, den Verlust zu tragen, sondern er wählte, seine Kraft zu verzehren in ohnmächtigem Trotz, sich selbst zu verlieren in einem wahnwitzigen Besitze des Verlorenen. Oder er entfloh in demselben Augenblick feig jedem demütigen Bestreben mit dem Verlust in Verständnis zu kommen. Da öffnete die Vergessenheit ihren Abgrund nicht so sehr für den Verlust als für ihn, und er entwich nicht so sehr durch Vergessen dem Verlust, als er sich selbst wegwarf. Oder er suchte lügnerisch das Gute zu fälschen, das ihm einst geschenkt war, als wäre es niemals schön gewesen, als hätte es ihn nie erfreut, er meinte seine Seele durch elenden Selbstbetrug zu stärken, als wäre Kraft in der Unwahrheit. – Oder

14

seine Seele wurde gänzlich gedankenlos, und er überzeugte sich, daß das Leben nicht so schwer sei, wie man sich einbilde, daß seine Schrecken nicht wären, wie sie beschrieben würden, nicht so schwer zu tragen wären, wenn man, wohl zu merken, so wie er es tat, damit beginnt, das nicht fürchterlich zu finden, daß man ein solcher Mensch wird. Ja wer könnte fertig werden, wenn er von dem reden will, was oft genug geschehen ist und sich wohl oft genug in der Welt wieder-holen wird; sollte er wohl nicht weit eher müde werden als die Leidenschaft, die fort und fort mit unermüdlicher Erfindsamkeit das Erklärte und Verstandene zu neuer Täuschung verwandelt, in welcher sie sich selbst betrügt! Laßt uns deshalb lieber zu Hiob zurückkehren. Am Tage der Trauer, da Alles verloren war, da dankte er zuerst Gott, der es gab, er betrog weder Gott noch sich selbst, und während Alles wankte und stürzte, blieb er doch wie er von Anfang an war „redlich und aufrichtig gegen Gott“. Er bekannte, daß des Herrn Segen gnädig über ihm gewesen war, er dankte dafür, deshalb blieb er nun nicht bei ihm als eine nagende Erinnerung. Er bekannte daß der Herr reichlich und über die Maßen sein Vornehmen gesegnet hatte, er dankte, deshalb ward die Erinnerung nicht zu einer verzehrenden Unruhe. Er verbarg es sich nicht, daß Alles ihm genommen war, deshalb blieb der Herr, der es nahm, in seiner aufrichtigen Seele zurück. Er floh nicht den Gedanken, daß es verloren war, deshalb blieb seine Seele stille, bis die Offenbarung des Herrn ihn wieder besuchte und seinen Sinn wie guten Acker fand, wohlbestellt in Geduld.

Der Herr hat’s genommen. Sagte hier Hiob nicht etwas Anderes, als was Wahr-heit war, brauchte er

15

hier nicht einen ferner liegenden Ausdruck für das, was mit einem näheren zu bezeichnen war? Das Wort ist kurz und bezeichnet den Verlust von Allem; es ist uns natürlich, nun es ihm nachzusprechen, da ja das Wort ein heiliges Sprichwort geworden ist; aber ist es uns deshalb stets ebenso natürlich, Hiobs Gedanken damit zu verbinden? Oder waren es nicht Sabäer, die seine friedlichen Herden überfielen und seine Diener niederhieben; redete der Bote, der die Kunde brachte, von etwas Anderem? Oder war es nicht der Blitz, der die Schafe und ihre Hirten verzehrte, redete der Bote der die Kunde brachte, von etwas Anderem, wenn er auch den Blitz das Feuer Gottes nannte? War es nicht ein Sturm von der Wüste her, der das Haus umstürzte und seine Kinder begrub; nannte der Bote einen anderen Täter, oder nannte er Jemand, der den Sturm gesendet habe? Doch sagte Hiob: Der Herr hat’s genommen, und in demselben Augenblick, da er die Botschaft empfing, verstand er, daß es der Herr war, der Alles genommen hatte. Wer unterrichtete Hiob davon, oder war es ein Zeichen seiner Gottesfurcht, daß er so Alles auf den Herrn wälzte, oder wer berechtigte ihn dazu, dies zu tun, und sind wir nicht frommer, wenn wir zuweilen lange Anstand nehmen, so zu reden? Es war vielleicht einer in der Welt, der verlor Alles. Da setzte er sich hin um zu überlegen, wie es doch zugegangen war. Aber das Ganze blieb ihm unerklärlich und dunkel. Seine Freude verschwand als wäre sie ein Traum, und die Bekümmerung war bei ihm, wie ein Traum, aber wie er aus der Herrlichkeit der einen in das Elend der andern geworfen war, das bekam er niemals zu wissen, es

16

war nicht der Herr, der es genommen hatte, es war ein Zufall. Oder er überzeugte sich, daß es die Tücke und Bosheit der Menschen oder ihre offenkundige Gewalt war, die es ihm entrissen hatte, wie die Sabäer Hiobs Herden mit ihren Wächtern niedergehauen hatten. Da empörte sich seine Seele gegen die Menschen; er meinte, er ließe Gott Recht widerfahren, wenn er es ihm nicht vorwürfe. Er verstand ganz gut, wie es zugegangen war, und die nähere Erklärung, die er besaß, war, daß diese Menschen es getan hatten, und die fernere Erklärung war, daß die Menschen böse und ihre Herzen verderbt waren. Er verstand daß die Menschen seine Nächsten sind, ihm zu schaden; vielleicht hätte er es auf eine ähnliche Weise verstanden, wenn sie ihm genützt hätten; aber daß der Herr der fern im Himmel wohnt, ihm sollte näher sein als der Mensch, der ihm zunächst war, ob er ihm nun Gutes oder Böses tat, von dieser Vorstellung war sein Ge-danke sehr fern. Oder er verstand ganz gut, wie es zugegangen war und wußte es mit schrecklicher Beredsamkeit zu beschreiben. Denn wie sollte er nicht verstehen, daß wenn das Meer rast in seiner Wildheit und sich selbst gegen den Himmel empört, daß da die Menschen und ihre gebrechlichen Bauwerke wie im Spiel verschlungen werden, daß wenn der Sturm vorwärts stürzt in seinem Rasen, daß da Menschenwerke nur wie Kartenhäuser sind; daß wenn die Erde bebt in Angst der Elemente, und wenn die Berge stöhnen, daß da die Menschen und ihre herrlichen Schöpfungen wie ein Nichts in den Abgrund sinken. Und diese Erklärung genügte ihm, und besonders dazu, seine Seele gleichgültig gegen Alles zu machen. Denn es ist wahr, um das zu stürzen, was auf

17

Sand gebaut ist, dazu ist nicht einmal ein Sturm nötig, aber wäre es deshalb auch wahr, daß ein Mensch nicht anderwärts bauen und hausen und seine Seele gerettet haben könnte? Oder er verstand, daß er es selbst verschuldet hatte, daß er nicht klug gewesen war; hätte er bei Zeiten richtig berechnet, dann wäre es nicht geschehen. Und diese Erklärung erklärte Alles – nachdem sie zuerst erklärt hat, daß er sich selbst verderbt und es sich unmöglich gemacht hat, Etwas vom Leben zu lernen, und besonders unmöglich Etwas von Gott zu lernen.

Doch wer möchte fertig werden, wenn er erzählen wollte, was geschehen ist und was sich wohl oft genug im Leben wiederholen wird. Würde ihn das Reden nicht eher ermüden als den sinnlichen Menschen das sich selbst betören durch scheinbare, täuschende und betrügerische Erklärungen? Wir wollen uns daher abwenden von dem, wovon nichts zu lernen ist, außer, wenn wir im Voraus damit nicht unbekannt waren, daß wir diese Klugheit der Welt verschmähen müssen, und wollen uns zu dem hinwenden, von dem die Wahrheit zu lernen ist, zu Hiob und zu seinem frommen Wort: Der Herr hat’s genommen. Hiob führte Alles auf den Herrn zurück; er verderbte nicht seine Seele und verlöschte nicht den Geist mit Erwägungen oder Erklärungen, die doch nur Zweifel gebären und nähren können, ob auch der, welcher darin verweilt, es selbst nicht merkt. In demselben Augenblick da es von ihm genommen wurde, wußte Hiob, daß es der Herr war, der es genommen hatte und deshalb blieb er beim Verlust in Einverständnis mit dem Herrn, bewahrte er beim Verlust das Vertrauen des Herrn; er sah den Herrn und deshalb sah er nicht die Verzweiflung.

18

Oder sieht der allein Gottes Hand, der ihn geben sieht, nicht auch der, der ihn nehmen sieht? Oder sieht der allein Gott, der sein Angesicht sich zugekehrt sieht, und sieht der nicht auch Gott, der sein Angesicht von sich abgekehrt sieht, wie Moses ja beständig dem Herrn nur nachschaute? Aber der, welcher Gott sieht, hat die Welt überwunden, und daher hatte Hiob in seinem frommen Wort die Welt überwunden; er war in seinem frommen Wort, größer und stärker und mächtiger als die ganze Welt, die ihn hier zwar nicht in Versuchung führen aber ihn durch ihre Macht überwinden wollte, ihn dazu bringen wollte, vor ihrer grenzenlosen Gewalt niederzusinken. Wie ist doch das wilde Tosen des Sturmes so schwach, ja fast kindisch, wenn er einen Menschen vor sich will erbeben lassen, indem er alles von ihm reißt, aber der ihm antwortet: Du bist es nicht, der es tut, es ist der Herr, der nimmt! Wie ist da der Arm des Gewalttätigen so ohnmächtig, die Klugheit des Schlauen so kläglich, wie ist alle menschliche Macht fast nur ein Gegenstand des Mitleids wenn sie den Schwachen in ver-zweifelte Unterwerfung stürzen will, indem sie ihm Alles entreißt und er da gläubig sagt: Du bist es nicht, Du vermagst nichts, es ist der Herr der es nimmt.

Der Name des Herrn sei gelobt! Also überwand Hiob nicht bloß die Welt, sondern er tat, was Paulus seiner kämpfenden Gemeinde wünscht, er bestand, nachdem er Alles überwunden hatte (Eph. 6,13). Ach, es war vielleicht einer in der Welt, der Alles überwand, aber in dem Augenblick, da er gesiegt hatte, kam er zu Fall. Der Name des Herrn sei gelobt! Also blieb der Herr derselbe, und sollte er da nicht gepriesen sein, wie immer?

19

Oder hatte sich der Herr wirklich verändert? Oder blieb der Herr nicht in Wahrheit derselbe wie Hiob derselbe blieb? Der Name des Herrn sei gelobt! Also nahm der Herr nicht Alles, denn die Danksagung nahm er ihm nicht, und den Frieden im Herzen und die Freimütigkeit im Glauben von welchen sie ausging, nahm er ihm nicht, sondern das Vertrauen des Herrn war noch bei ihm wie sonst, vielleicht innerlicher wie sonst; denn nun war ja gar nichts da, was seine Gedanken irgendwie hätte davon abziehen können. Der Herr nahm Alles; da sammelte Hiob gleichsam all seine Trauer und „warf sie auf den Herrn“, und da nahm der Herr auch die von ihm und nur die Danksagung blieb zurück in der unvergänglichen Freude des Herzens. Denn wohl ist Hiobs Haus ein Trauerhaus, wenn je ein Haus es war, aber wo dies Wort ertönt: der Name des Herrn sei gelobt, da hat doch auch die Freude ihre Heimat; und wohl steht Hiob vor uns mit dem ausgeprägten Bild der Trauer in seinem Angesicht und in seiner Erscheinung, aber wer dies Wort sagt, gibt doch noch der Freude Zeugnis, wie Hiob tat, ob auch sein Zeugnis sich nicht zu den Frohen wendet, sondern zu den Be-kümmerten, und es redet verständlich zu den Vielen, die Ohren haben zu hören. Denn das Ohr der Bekümmerten ist auf eigne Weise gebildet, und wie das Ohr der Liebenden wohl manchen Ruf hört, aber eigentlich doch nur einen, nämlich dessen, der geliebt wird, so hört das Ohr der Bekümmerten wohl manche Stimmen, aber sie fahren vorbei und dringen nicht in sein Herz. Wie nämlich Glauben und Hoffnung ohne Liebe doch nur tönendes Erz und klingende Schelle sind, so ist all die Freude, die in der Welt verkündet

20

wird, in welcher keine Trauer mitklingt, nur tönendes Erz und klingende Schelle, die das Ohr kitzelt, aber der Seele widerwärtig ist. Aber dieser Ruf des Trostes, diese Stimme, die in Schmerz bebt, aber doch Freude verkündet, die hört das Ohr der Bekümmerten, die erfaßt sein Herz, die stärkt und leitet ihn dazu, selbst Freude zu finden in der Tiefe der Trauer. – Mein Zuhörer nicht wahr! Du hast Hiobs Danksagung verstanden; sie ist Dir wenigstens im stillen Gedanken der Erwägung so schön vorgekommen, daß Du darüber vergessen hast, woran Du auch von mir nicht erinnert werden möchtest, was wohl zuweilen am Tage der Not statt Danksagung und Segen in der Welt gehört worden ist. So laß es denn vergessen sein, Du willst ja ebenso wenig wie ich verschulden, daß das Ge-dächtnis daran wieder sollte lebendig werden.

Wir haben von Hiob gesprochen und versucht, ihn in seinem frommen Wort zu verstehen, ohne daß deshalb die Rede sich einem hat aufdrängen wollen, aber sollte sie deshalb ganz ohne Bedeutung oder ohne Anwendung sein und Niemand angehen? Wenn Du mein Zuhörer, wie Hiob versucht wurdest und wie er in der Prüfung bestündest, da paßte sie ja grade auf Dich, wenn wir anders richtig von Hiob geredet haben. Wenn Du bisher im Leben nicht versucht wurdest, da paßt sie ja für Dich. Denkst Du vielleicht daß dieses Wort nur Anwendung findet bei einer solchen außerordentlichen Begebenheit wie die, in welche Hiob geführt wurde; erwartest Du vielleicht, wenn Dich eine solche träfe, daß dann das Furchtbare selbst Dir diese Stärke geben, selbst in Dir diesen demütigen Mut entwickeln werde? Hatte Hiob nicht eine Hausfrau; was lesen

21

wir von ihr? – Vielleicht meinst Du, daß selbst das Schreckliche nicht die Macht über einen Menschen gewinnen könne wie das tägliche Quälen in weit geringe-ren Widerwärtigkeiten. Dann siehe Du zu, daß Du nicht ein Sklave der Wider-wärtigkeiten wirst, so wenig wie der Sklave eines Menschen, und lerne von Hiob vor Allem, aufrichtig gegen Dich selbst zu werden, damit Du Dich nicht mit eingebildeter Kraft betrügst, mit welcher Du eingebildeten Sieg in eingebildetem Streit erlebst. Vielleicht sagst Du, wenn es nun auch der Herr von mir genommen, so wurde mir doch nichts gegeben; vielleicht meinst Du, daß Dein Leid zwar keineswegs so furchtbar sei wie Hiobs, aber es sei weit aufreibender und also sei es doch ein schwieriger Streit. Wir wollen nicht mit Dir streiten; denn ob Dein Streit so ist, darüber zu streiten ist unnütz und eine Vergrößerung der Schwierig-keit. Aber darin bist Du ja doch einig mit mir, daß Du von Hiob lernen kannst, und wenn Du redlich gegen Dich selbst bist und die Menschen liebst, so kannst Du nicht wünschen Hiob fahren zu lassen um Dich in bisher unbekannte Gefahr hinaus zu wagen und uns Andere in Unruhe zu halten, bis wir durch Dein Zeug-nis lernen, daß auch in dieser Schwierigkeit ein Sieg möglich ist. So lerne Du denn von Hiob sagen: der Name des Herren sei gelobt, das paßt ja für Dich, auch wenn das Vorhergehende weniger paßte. – Oder meinst Du vielleicht, daß etwas Solches Dir nicht geschehen könnte? Wer lehrte Dich diese Weisheit oder worauf baust Du diese Gewißheit? Bist Du weise und verständig und ist dies Dein Trost? Hiob war der Lehrer Vieler. Bist Du jung und ist die Jugend Deine Sicherheit? Hiob war auch jung gewesen. Bist

22

Du alt, nahe dem Grabe? Hiob war ein Greis, da die Trauer über ihn kam. Bist Du mächtig und ist dies Dein Freibrief? Hiob war angesehen im Volke. Ist Reichtum Deine Stütze? Hiob besaß den Segen des Landes. Sind Freunde Deine Bürgen? Hiob war von Allen geliebt. Vertrauest Du auf Gott? Hiob war der Vertraute des Herrn. Hast Du wohl diese Gedanken erwogen oder fliehst Du sie nicht eher, damit sie Dir nicht ein Geständnis abzwingen, welches Du jetzt vielleicht eine schwermütige Anschauung nennst. Und doch ist in der weiten Welt kein Versteck zu finden, wo Dich die Bekümmerung nicht finden könnte, und doch hat niemals der Mensch gelebt, der mehr zu sagen vermöchte als Du auch nämlich: daß du nicht weißt, wenn die Trauer Dein Haus besuchen wird. So sei da ernsthaft gegen Dich selbst; hefte Dein Auge auf Hiob, ob er Dich auch erschreckt; er will das nicht, wenn Du selbst es nicht willst. Du könntest ja doch nicht wünschen, wenn Du Dein Leben überschaust, und es abgeschlossen denkst, dann dieses Bekenntnis abgeben zu müssen: ich war ein Glücklicher, der nicht war wie andere Menschen, der niemals etwas in der Welt gelitten hat und jeden Tag für sich sorgen, oder vielmehr neue Freuden bringen ließ. Ein solches Bekenntnis, selbst wenn es wahr wäre, wirst Du Dir doch niemals wünschen, ja es würde Deine eigne Beschämung enthalten; denn wenn Du auch wärest umfriedigt worden wie kein anderer, Du würdest doch sagen: wohl ward ich nicht selbst versucht, aber doch wurde mein Sinn oft ernsthaft bei dem Gedanken an Hiob und bei der Vorstellung, daß kein Mensch Zeit und Stunde weiß, da die Bot-schaften zu ihm kommen, eine fürchterlicher als die andere.

 

- FORTSETZUNG -