Bonhoeffer: Die sichtbare Gemeinde

 

Die sichtbare Gemeinde.

 

„Ihr seid das Salz der Erde. Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man’s salzen? Es ist hinfort zu nichts nütze, denn daß man es hinausschütte und lasse es die Leute zertreten. Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter: so leuchtet es denn allen, die im Hause sind. Also laßt euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (Mt. 5,13-16).

Die in den Seligpreisungen in die Gnade der Nachfolge des Gekreuzigten Gerufenen sind angeredet. Während die Seliggepriesenen bisher wohl als des Himmelreiches würdig, aber doch offenbar zugleich als für diese Erde ganz und gar Lebensunwerte, Überflüssige erscheinen mußten, werden sie jetzt mit dem Sinnbild des auf Erden unentbehrlichsten Gutes bezeichnet. Sie sind das Salz der Erde. Sie sind das edelste Gut, der höchste Wert, den die Erde besitzt. Ohne sie kann die Erde nicht länger leben. Durch das Salz wird die Erde erhalten, um eben dieser Armen, Unedlen, Schwachen willen, die die Welt verwirft, lebt die Erde. Sie vernichtet ihr eigenes Leben, indem sie die Jünger ausstößt und – o Wunder! – gerade um dieser Verstoßenen willen darf die Erde weiterleben. Dieses „göttliche Salz“ (Homer) bewährt sich in seiner Wirksamkeit. Es durch-wirkt die ganze Erde. Es ist ihre Substanz. So sind die Jünger nicht nur aufs Himmelreich gerichtet, sondern an ihre Erdensendung erinnert. Als die an Jesus allein Gebundenen werden sie an die Erde gewiesen, deren Salz sie sind. Wenn Jesus nicht sich selbst, sondern seine Jünger das Salz nennt, so überträgt er ihnen die Wirksamkeit auf der Erde. Er zieht sie in seine Arbeit hinein. Er bleibt im Volke Israel, den Jüngern aber überträgt er die ganze Erde. Allein dadurch, daß das Salz Salz bleibt, die reinigende, würzende Kraft des Salzes bewahrt, wird die Erde durch das Salz erhalten werden können. Um seiner selbst wie um der Erde willen muß Salz Salz bleiben, muß die Gemeinde der Jünger bleiben, was sie durch Christi Ruf ist. Darin wird ihre wahre Wirksamkeit auf Erden liegen und ihre erhaltende Kraft. Salz soll unverweslich sein und dadurch eine dauernde Kraft der Reinigung. Darum braucht das Alte Testament Salz zum Opfer, darum wird im katholischen Taufritus, dem Kind Salz in den Mund gelegt (Ex. 30,35; Ezech. 16,4). In der Unverweslichkeit des Salzes liegt die Gewähr der Dauer der Gemeinde.

„Ihr seid das Salz“ – nicht, ihr sollt das Salz sein! Es ist den Jüngern nicht in ihren Willen gestellt, ob sie Salz sein wollen oder nicht. Es wird auch nicht ein Appell an sie gerichtet, Salz der Erde zu werden. Sondern sie sind es, ob sie wollen oder nicht, in der Kraft des Rufes, der sie getroffen hat. Ihr seid das Salz – nicht:

ihr habt das Salz. Es wäre eine Verkürzung, wollte man mit den Reformatoren die Botschaft der Jünger dem Salz gleichsetzen. Ihre ganze Existenz, sofern sie durch den Ruf Christi in die Nachfolge neu begründet ist, diese Existenz, von der die Seligpreisungen redeten, ist gemeint. Wer vom Ruf Jesu getroffen in seiner Nachfolge steht, ist durch diesen Ruf in seiner ganzen Existenz Salz der Erde.

Die andere Möglichkeit allerdings besteht darin, daß das Salz dumm wird, aufhört Salz zu sein. Es hört auf zu wirken. Dann freilich ist es in der Tat zu nichts mehr gut, als daß es weggeworfen wird. Das ist die Auszeichnung des Salzes. Es muß alles Ding gesalzen werden. Aber das Salz, das dumm wird, kann nie mehr gesalzen werden. Es kann alles, auch der verderbteste Stoff durch Salz gerettet werden, nur das Salz, das dumm wurde, ist hoffnungslos verderbt. Das ist die andere Seite. Das ist das drohende Gericht, das über der Jüngergemeinde steht. Die Erde soll durch die Gemeinde gerettet werden, nur die Gemeinde selbst, die aufhört zu sein, was sie ist, ist rettungslos verloren. Der Ruf Jesu Christi heißt Salz der Erde sein oder vernichtet werden, nachfolgen oder – der Ruf selbst vernichtet den Gerufenen. Eine nochmalige Möglichkeit der Rettung gibt es nicht. Es kann sie nicht geben.

Nicht nur die unsichtbare Wirksamkeit des Salzes, sondern das sichtbare Leuch-ten des Lichtes ist der Jüngergemeinde mit dem Ruf Jesu zugesprochen. „Ihr seid das Licht“ – wiederum nicht: ihr sollt es sein! Der Ruf selbst hat sie dazu gemacht. Es kann nun gar nicht anders sein, sie sind ein Licht, das gesehen wird; wäre es anders, dann wäre der Ruf offenbar nicht bei ihnen. Was für ein unmögliches, unsinniges Ziel wäre es für die Jünger Jesu, für diese Jünger, Licht der Welt werden zu wollen! Sie sind vielmehr schon dazu gemacht durch den Ruf, in der Nachfolge. Wiederum nicht: ihr habt das Licht, sondern: ihr seid es! Nicht etwas euch Gegebenes, also etwa eure Predigt ist das Licht, sondern ihr selbst seid es. Derselbe, der von sich in eigentlicher Rede sagt: Ich bin das Licht, sagt zu seinen Jüngern in eigentlicher Rede: Ihr seid das Licht in eurem ganzen Leben, sofern ihr am Ruf bleibt. Weil ihr es denn seid, darum könnt ihr nicht mehr verborgen bleiben, ob ihr es gleich wolltet. Licht scheint, und die Stadt auf dem Berge kann nicht verborgen sein. Sie kann es nicht. Sie ist weithin ins Land sichtbar, sei es nun als feste Stadt oder bewachte Burg, sei es als zerfallene Ruine. Diese Stadt auf dem Berge – welcher Israelit dachte dabei nicht an Jerusalem, die hochgebaute Stadt! – ist die Jüngergemeinde. Die Nachfolgenden sind mit all dem nicht mehr vor eine Entscheidung gestellt: die einzige Entschei-dung, die es für sie gibt, ist schon gefallen. Nun müssen sie sein, was sie sind, oder sie sind nicht Nachfolger Jesu. Die Nachfolgenden sind die sichtbare Gemeinde, ihre Nachfolge ist ein sichtbares Tun, durch das sie sich aus der Welt herausheben – oder es ist eben nicht Nachfolge. Und zwar ist die Nachfolge so sichtbar wie Licht in der Nacht, wie ein Berg in der Ebene.

Flucht in die Unsichtbarkeit ist Verleugnung des Rufes. Gemeinde Jesu, die unsichtbare Gemeinde sein will, ist keine nachfolgende Gemeinde mehr. „Man zündet nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter“ – das ist wiederum die andere Möglichkeit, daß das Licht willkürlich verdeckt wird, daß es unter dem Scheffel erlischt, daß der Ruf verleugnet wird. Der Scheffel, unter dem die sichtbare Gemeinde ihr Licht versteckt, kann eben-sowohl die Menschenfurcht sein wie eine bewußte Weltförmigkeit um irgend-welcher Zwecke willen – und seien sie missionarischer Art oder entsprängen sie einer mißverstandenen Liebe zu den Menschen! Es mag aber auch – und das ist noch gefährlicher – eine sogenannte reformatorische Theologie sein, die sich sogar theologia crucis zu nennen wagt und die ihr Signum darin hat, daß sie der „pharisäischen“ Sichtbarkeit eine „demütige“ Unsichtbarkeit in Gestalt von totalem Aufgehen in Weltförmigkeit vorzieht. Nicht außerordentliche Sichtbarkeit, sondern Bewährung in der justitia civilis wird hier zum Kennzeichen der Ge-meinde. Daß das Licht gerade nicht leuchte, ist hier das Kriterium der Christlich-keit. Jesus aber sagt: lasset euer Licht leuchten vor den Heiden. Es ist ja in jedem Fall das Licht des Rufes Jesu, das da leuchtet. Aber was für ein Licht ist das nun, in dem diese Nachfolger Jesu, diese Jünger der Seligpreisungen leuchten sollen? Was für ein Licht soll von jenem Ort kommen, an dem die Jünger allein ein Anrecht haben? Was hat die Unsichtbarkeit und Verborgenheit des Kreuzes Jesu, unter dem die Jünger stehen, mit dem Licht gemein, das leuchten soll? Sollte nicht aus jener Verborgenheit gerade folgen, daß auch die Jünger in der Verborgenheit und gerade nicht im Licht stehen sollen? Es ist ein böser Sophismus, der aus dem Kreuz Jesu die Weltförmigkeit der Kirche herleitet. Erkennt nicht der einfältige Hörer ganz deutlich, daß eben gerade dort am Kreuz etwas Außerordentliches sichtbar geworden ist? Oder ist das etwa alles justitia civilis, ist das Kreuz Weltförmigkeit? Ist nicht das Kreuz etwas, was zum Erschrecken der Anderen gerade in aller Dunkelheit unerhört sichtbar wurde? Ist es nicht sichtbar genug, daß Christus verworfen ist und leiden muß, daß sein Leben vor den Toren der Stadt auf dem Schandhügel endet? Ist das Unsichtbarkeit? In diesem Licht sollen die guten Werke der Jünger gesehen werden. Nicht euch, sondern eure guten Werke sollen sie sehen, sagt Jesus. Was sind diese guten Werke, die in diesem Licht gesehen werden können? Es können ja keine anderen Werke sein als die, die Jesus selbst in ihnen schuf, als er sie rief, als er sie zum Licht der Welt machte unter seinem Kreuz – Armut, Fremdlingschaft, Sanftmut, Friedfertigkeit und zuletzt Verfolgt- und Verworfen-werden und in dem allen eines: das Kreuz Jesu Christi tragen. Das Kreuz ist das seltsame Licht, das da leuchtet, in dem alle diese guten Werke der Jünger allein gesehen werden können. Es ist ja in alldem nicht davon geredet, daß Gott sichtbar wird, sondern daß die „guten Werke“ gesehen werden und daß die Leute über diesen Werken Gott preisen. Sichtbar wird das Kreuz und sichtbar werden die Werke des Kreuzes, sichtbar wird der Mangel und Verzicht der Seliggeprie-senen. Über dem Kreuz und solcher Gemeinde aber kann nicht mehr der Mensch gepriesen werden, sondern allein Gott. Wären die guten Werke allerlei Tugenden von Menschen, so würde über ihnen nicht der Vater, sondern der Jünger ge-priesen. So aber bleibt nichts zu preisen am Jünger, der das Kreuz trägt, an der Gemeinde, deren Licht so leuchtet, die sichtbar auf dem Berge liegt, – über ihren „guten Werken“ kann allein der Vater im Himmel gepriesen werden. So sehen sie das Kreuz und die Kreuzesgemeinde und glauben Gott. Das aber ist das Licht der Auferstehung.

 

- FORTSETZUNG -