Reden und Handeln in Vollmacht

Reden und Handeln in Vollmacht

Am Ende der Bergpredigt steht, die Hörer seien entsetzt gewesen, weil Jesus so ganz anders sprach als die Redner, die sie sonst kannten. Jesus lehrte „mit Vollmacht“ – und nicht wie ihre Schriftgelehrten (Mt 7,28-29; Mk 1,22; Lk 4,31-32). Was heißt aber eigentlich „mit Vollmacht“? War Jesu Vortrag mitreißender, tiefgründiger oder eindrucksvoller? War er einer jener großen Redner, die ihre Hörer mit Mimik und Gestik in ihren Bann schlagen? Lag’s vielleicht an seiner Stimme? Oder war der Inhalt völlig anders? Jesus lehrte jedenfalls „mit Vollmacht“. Bei ihm schlief keiner ein – und was er sagte, ließ auch keinen kalt. Er fesselte die Aufmerksamkeit seiner Hörer. Es lag Kraft in seinen Worten. Und den Hörern fiel auf, wie sehr das im Gegensatz stand zu den Predigten, die sie gewohnt waren. Denn natürlich waren auch ihre Theologen gelehrte Leute, die reden konnten. Auch die sprachen engagiert, in geschliffenen Worten. Aber es war doch kein Vergleich zu dem, was Jesus tat. Denn es macht einen Unterschied, ob sich jemand bloß auf Autoritäten beruft oder ob er selbst Autorität hat. Ein gewöhnlicher Geistlicher kann Gottes Wort wiedergeben – Jesus aber ist selbst das Wort Gottes! Ein normaler Prediger beruft sich auf das, was in der Heiligen Schrift geschrieben steht – Jesus aber ist Gottes Wort in eigener Person! Er gibt nicht wieder, was er aus Büchern lernte, sondern ist mit den Dingen unmittelbar vertraut. Er hat nicht bloß von Gott gehört, sondern kennt ihn, weil er mit dem himmlischen Vater eins ist. Jesus stellt darum nichts zur Diskussion, sondern seine Rede schafft Fakten. Er wirbt nicht um Aufmerksamkeit, sondern hat sie, sobald er erscheint. Er überredet niemand, sondern spricht so, dass seine Hörer die Wahrheit nicht mehr leugnen können. Er redet nicht aus geliehener, sondern aus eigener Autorität. Und anders als bei Politikern und Selbstdarstellern, die ihre dramatischen Gesten vor dem Spiegel einstudieren, nimmt man‘s ihm auch sofort ab. Denn genau so „vollmächtig“ wie Jesus redet, handelt er ja auch. Er befiehlt bösen Geistern aus einem Menschen auszufahren, und sie müssen es tun. Sie wagen keinen Widerspruch (Lk 4,36; Mk 1,27). Wenn Jesus dem Sturm gebietet sich zu legen, dann gehorchen ihm auch der Wind und die Wellen (Mt 8,27). Sein Wort vermehrt Brot, es verwandelt Wasser in Wein, es lässt Bäume verdorren und weckt sogar Tote auf (Mt 14,13-21; Joh 2,1-12; Mt 21,18-21; Lk 7,11-17). Auf sein Wort hin können Gelähmte wieder gehen, und wenn er Sünden vergibt, dann sind sie vergeben (Mk 2,9-11; Mt 9,6-8). Wenn er wildfremde Menschen zu Jüngern beruft, zögern sie nicht, sondern folgen ihm (Mk 1,16ff). Und am besten hat es der Hauptmann von Kapernaum verstanden. Denn als Soldat kennt der sich mit Befehlsketten aus und sagt darum zu Jesus, dass er sich gar nicht erst in das Haus des Hauptmanns bemühen muss, sondern, wenn Jesus sagt, dass der dort krank liegende Knecht gesund wird, dann passiert das – und der Hauptmann hat nicht den geringsten Zweifel (Mt 8,5-13). Er weiß, dass Jesus nicht bloß von höheren Mächten erzählt, sondern selbst die höchste Macht ist. Ihm ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden (Mt 28,18; 11,27). Gottes Sohn ist das lebensschaffende Wort des Schöpfers (Joh 1,1-14; 5,26; 17,2). Ihm ist alles in seine Hand gelegt, einschließlich dem Gericht (Joh 3,35; 5,27). Und wenn er auch nicht kommt, um zu herrschen, sondern um zu dienen (Mt 20,28), kann er doch alles tun, was er tun will. Da Jesus aber möchte, dass die Jünger sein Werk fortsetzen, stattet er sie mit der nötigen Vollmacht aus. Denn der von Jesus ausgehende Impuls soll weiterwirken. Er verleiht seinen Jüngern Macht über die unreinen Geister und auch die Kraft, Kranke zu heilen (Mt 10,1; Mk 6,7; Lk 9,1). Sie haben das Amt der Schlüssel, sind also bevollmächtigt Schuld zu vergeben oder nicht zu vergeben (Mt 16,19; 18,18; Joh 20,23). Jesus identifiziert sich mit seinen Jüngern (Lk 10,16; Joh 13,20). Er will in ihnen und durch sie wirken. Er beauftragt sie in seinem Namen Mission zu betreiben, zu taufen und zu lehren (Mt 28,19-20). Und wie er selbst Macht hat, den Heiligen Geist zu geben, so überträgt er diese Macht auch seinen Jüngern (Joh 20,21-23; Apg 8,14-19). Christus bleibt das Haupt der Gemeinde (Eph 1,20-22). Aber die Apostel sind bevollmächtigt, seine Gemeinde zu erbauen und zu leiten (2. Kor 10,8; 13,10). Auch sie sollen keineswegs herrschen, sondern dienen (Mk 10,42-45) und ihre Befugnisse nicht missbrauchen. Aber ihr Dienst geschieht doch nicht nur durch Milde, sondern manchmal auch durch Schärfe (Mt 18,15-17; Gal 1,8-9; Apg 8,20ff, 1. Kor 5,13; 2. Thess 3,6; Tit 3,10). Und so hängt ganz viel an dem guten und bewussten Gebrauch dieser Vollmachten. Denn Kirche wäre nicht Kirche ohne die Überzeugung, dass durch ihr Reden und Handeln Gott selbst handelt. Kirche ist kein Verein religiöser Individuen, die sich ihre Ziele nach Belieben selber setzen, sondern als ausführendem Organ Gottes ist der Kirche ihr Auftrag verbindlich vorgegeben. Sie hat dem Wort zu dienen, dem sie sich verdankt. Und so geht es, wenn ein Pfarrer predigt, nicht um seine Worte, sondern um Gottes Wort. Wenn er tauft, handelt eigentlich nicht er, sondern Gott selbst handelt an dem Kind – denn der Pfarrer tut‘s ja nur in Gottes Namen und auf höhere Weisung hin. Wenn er im Abendmahl Brot und Wein reicht, werden diese Gaben nicht von ihm, sondern von Christus gespendet. Und erteilt er der Gemeinde Absolution, wirkt darin nicht seine persönliche, sondern Gottes Vergebung. Auch der Segen am Ende des Gottesdienstes ist nicht etwa der Segen des Geistlichen, sondern Gottes Segen. Und so ist Kirche überhaupt nur ernst zu nehmen, wenn sie glaubhaft macht (und auch selbst glaubt!), dass sie auf höheren Befehl handelt. Nur als ausführendes Organ Gottes verdient sie Kirche genannt zu werden, nur wenn sie ein Teil der Macht ist, der sie sich verdankt. Aber sind wir uns dieses Anspruchs auch bewusst? Lösen wir ihn ein? Oder schrecken wir davor zurück? Nimmt Kirche das selbst noch ernst, dass sie inmitten der Welt der Welt fremd gegenüberstehen soll? Und wissen die Pfarrer, dass sich in und durch ihr Tun die Autorität Gottes Geltung verschafft? Ich fürchte, viele wollen gar nicht mit „Vollmacht“ reden oder handeln, weil sie Macht immer gleich mit ihrem Missbrauch assoziieren. Alle Autorität erscheint ihnen „autoritär“. Und weil sie das um keinen Preis sein wollen, verstehen sie sich lieber nicht als bevollmächtigte Repräsentanten Gottes, sondern bloß als Sprecher der Gemeinde. Dass sie befugt sein sollten, in Gottes Namen zu handeln, ist ihnen nicht geheuer. Statt für die Herrschaft ihres Herrn einzutreten, möchten sie lieber eine „bescheidenere“ Rolle spielen. Doch ist Schüchternheit da am falschen Platz. Denn, was soll dabei herauskommen, wenn die Kirche den Glaubensartikel von der „heiligen christlichen Kirche“ selbst nicht mehr glaubt? Kraftlos ist die Rede derer, die zur Wahrheit in keinem näheren Verhältnis stehen, als dass sie drüber spekulieren! Denn wenn sie Skrupel haben, etwas von unbedingter Geltung zu sagen, relativieren sie damit nicht nur ihren eigenen, sondern zugleich den Anspruch des Herrn, für den sie einstehen sollen! Christus aber hat uns nicht berufen, um Ansichten auszutauschen, um der Welt unverbindliche Vorschläge zu unterbreiten und dann „einen offenen Diskurs zu moderieren“, sondern er hat uns dazu berufen, ihm vorbehaltslos zu glauben, einseitig für ihn Partei zu ergreifen – und das auch dann in klaren Worten zu bekennen, wenn die Welt uns dafür hasst. Es gilt nicht Kompromisse zu machen, sondern alles Denken gefangen zu nehmen in den Gehorsam gegen Christus (2. Kor 10,5). Und das erreicht man nicht durch Zaudern. Denn wie soll einer seine Hörer überzeugen, wenn er selbst nicht überzeugt ist, sondern voller Zweifel steckt? Wie soll einer Gottes Autorität repräsentieren, wenn er gar nicht weiß, ob er ihr wirklich untersteht, und nicht mal sicher ist, was Gott von ihm will? Wer nicht gebunden ist, kann auch nur unverbindlich reden. Wer keinen Halt hat, kann keinen Halt geben. Wer nicht weiß, was die oberste Heeresleitung befohlen hat, kann ihr nicht gehorchen. Stattdessen sitzen die Soldaten im Stuhlkreis und diskutieren, was wohl ihr Auftrag sein könnte! Kommen sie dabei aber über Mutmaßungen nicht hinaus, so erklärt das den Mangel an „vollmächtiger“ Verkündigung, den wir heute beklagen. Denn leider hat sich unter den Theologen die Meinung verbreitet, die Heilige Schrift sei „auch nur Menschenwerk“, und der Wille Gottes gar nicht klar erkennbar. Sind die Geistlichen aber diesbezüglich unsicher – woher soll dann „Vollmacht“ kommen, und woher die Zuversicht, dass kirchliches Reden und Tun Fakten schafft? Der Talar allein wird uns keine innere Vollmacht ersetzen! Und wenn sich alle ganz lieb an den Händen fassen, wird’s davon auch noch nicht „verbindlich“! Nur weil jemand ein kirchliches Amt bekleidet, ist er noch lange keine geistliche Autorität! Rede ohne Autorität bleibt aber belanglos und erbaut keine Gemeinde. Denn Zweifel haben die Menschen selbst genug. Und es hilft ihnen nicht, wenn die Geistlichen, die das Absolute vertreten sollen, das Absolute bei jeder Gelegenheit relativieren. Mangels Vollmacht versuchen sie es dann mit Rhetorik, Euphorik und Dramatik, mit Pathos, Moralismus und Humor, mit Jugendsprache, Schöngeisterei, Wokeness, Betroffenheit und Politik. Aber, braucht man dafür die Kirche? Können das andere nicht besser? Freilich – es würde nichts nützen, einfach nur die Backen aufzublasen und Vollmacht zu simulieren, wo keine ist. Doch kann die Misere überwunden werden, wenn wir Gottes Wort wieder als die Autorität wahrnehmen, der man sich zu beugen hat, wenn man Christ sein will. Und die Theologen, die überall bekunden, sie seien doch auch nicht „im Besitz der Wahrheit“, muss man an das Bekenntnis erinnern, auf das sie ordiniert wurden. Denn wenn schon die Boten des Evangeliums nicht mehr den Anspruch erheben, dass ihre Botschaft „wahrer“ sei als die der anderen Religionen – wer soll ihnen dann zuhören? Eine Kirche, die sich selbst zerlegt, braucht keine Feinde mehr. Und ihrem Herrn kann sie nichts nützen. Denn Christus wollte eine Kirche aus härterem Stoff. Er sprach von einer Kirche, die auch die Pforten der Hölle nicht überwinden (Mt 16,18). Die ist erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Christus selbst der Eckstein ist (Eph 2,20). Sie ist nicht auf Mutmaßungen gegründet, sondern auf Fels (Mt 7,24-27). Und sie ist als Kirche nur ernst zu nehmen, wenn sie auch selbst glaubt, dass sie auf höheren Befehl handelt, wenn sie also Gottes ausführendes Organ ist und ein Teil der Macht, von der sie redet. Kirche muss überzeugt sein, dass ihr Wort wirklich Gottes Wort ist, sonst kann sie einpacken. Denn ihr Auftrag ist nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit den Mächten des Bösen (Eph 6,12). Und diesen Auftrag kann sie nicht erfüllen, ohne die innere Gewissheit ihrer Berufung. Nicht jeder, der den Namen Jesu im Munde führt, hat Jesus auch wirklich auf seiner Seite (Mt 7,21-23; Apg 19,15) – es bedarf dazu einer inneren Bindung, die vollmächtiges Reden und Handeln erst ermöglicht. Die hat man nur, wenn man sich (wie der Hauptmann von Kapernaum) als Glied einer Befehlskette versteht. Und auch dann ist die verliehene Vollmacht noch klar von dem zu unterscheiden, was einer als Privatperson ist und kann. In gewissem Sinne muss der Bote „eins“ sein mit der Macht, die ihn sendet. Er trägt ja das Wappen seines Herrn – und wenn er etwas durchsetzt, dann kraft dieser höheren Autorität. Der Geistliche als Bote muss sich aber von dem Herrn, in dessen Namen er handelt und redet, auch klar unterscheiden. Denn natürlich soll sich in der Kirche niemand vor den Menschen beugen, die Gott mit Befugnissen ausgestattet hat, sondern nur vor Gott selbst. Nicht die Kirche soll herrschen, sondern der Herr der Kirche, Jesus Christus soll herrschen. Der menschliche Geist soll bloß dienen, der Heilige Geist soll regieren. Die Ehre gebührt Gott – und gewiss nicht den Geistlichen, die bloß seine schlechten Werkzeuge sind. Dass sie aber ganz im Ernst Gottes Werkzeuge sind – und nicht weniger als das – das müssen die Pfarrer schon glauben und diese Zuversicht müssen sie haben. Denn woher sonst sollten sie den Mut nehmen, in Gottes Namen zu handeln? Eine Vollmacht besagt, dass der Bevollmächtigte mit dem Vollmachtgeber nicht identisch ist, dass er von diesem aber ermächtigt wurde, stellvertretende für ihn zu handeln und zu sprechen. Und so ist sowohl der Unterschied als auch der Zusammenhang festzuhalten. Der, der predigen soll, ist gewiss nur ein Mensch – und auf sich gesehen ein armer Hund. Wenn er aber nicht glauben dürfte, dass Gott durch ihn reden will, könnte er sich nicht auf die Kanzel wagen. Hat er selbst keine Gewissheit über seinen Auftrag, spüren das auch seine Hörer. Geht er aber allzu selbstgewiss auf die Kanzel, weil er sich für begnadet hält, ist er erst recht ungeeignet. Einerseits bleibt es immer ein Wunder, wenn in, mit und unter der Gestalt menschlicher Rede das Wort Gottes gehört wird. Und andererseits muss der Prediger die Zuversicht haben, dass Gott dieses Wunder auch in seinem Fall vollbringen will. Das Göttliche kommt im Menschlichen zur Geltung. Und nie ist es so, dass wir darüber verfügen. Aber dass Gottes Autorität so über uns verfügt, dass unser sakramentales Handeln auch wirklich sein Handeln ist – darüber müssen wir Gewissheit haben, um zu tun, was wir (unter Jesu Auftrag stehend) gar nicht lassen dürfen. Er sendet uns nicht aus, ohne uns die nötige Vollmacht mitzugeben. Und darum gehen wir. Wir tun’s aber nicht so zögerlich, wie es der Blick auf uns selbst nahe legen würde, sondern so entschlossen, wie es der Blick auf Jesu Zusagen erlaubt. Er hat seine Macht an sein Wort gebunden, das Wort aber seinen Jüngern in den Mund gelegt. Und wenn wir’s nur richtig wiedergeben, muss jeder, der uns widerspricht und uns verhöhnt, wissen, dass er Christus selbst verhöhnt (Lk 10,16). Will Kirche gehört werden, muss sie mit Entschiedenheit auftreten. Und das kann sie nur, wenn sie mit ihrem Herrn im Reinen und sich über ihre Befugnisse im Klaren ist. Dann aber soll und muss sie ohne Rücksicht auf Verwandte den Mund aufmachen – nicht um den Menschen zu gefallen, sondern um Christus zu gehorchen! Und sie soll es dann um Himmels willen nicht zögerlich tun, sondern auf beherzte und nachdrückliche Weise. Wir brauchen wieder Prediger, denen man abspürt, dass sie nicht bloß „über“ Wahrheit spekulieren oder dies oder das „wahre Wort“ sagen, sondern aus denen die Wahrheit selbst spricht, ja, durch die die Wahrheit selbst sich Geltung verschafft, weil der Mensch, der da redet, bezüglich der Wahrheit nicht bloß eine Meinung hat, sondern mit seiner ganzen Person in der Wahrheit lebt und für die Wahrheit steht. Wir brauchen solche Prediger. Doch leider haben wir sie nicht. Und darum wollen wir den Himmel um neue Generationen glaubensfester und vollmächtiger Geistlicher bitten, die mit ernsten Dingen keine Scherze treiben, sondern sich jederzeit fest gebunden wissen – und darum dann auch wieder verbindlich und entschieden handeln.

 

 

Bild am Seitenanfang: His only begotten son and the word of God

Viktor Vasnetsov, Public domain, via Wikimedia commons